Von Fiona Knecht
Immer im April stürmen Schnäppchenjäger und Sammler rund um den Globus die Plattenläden. Ihr Ziel sind rare Vinylpressungen mit dem Aufkleber RECORD STORE DAY. Ein paar Antworten auf die Frage, wieso die Langspielplatte ein Revival feiert, und wer zur Party eingeladen ist.
Im Jahr 2007 hatte eine Handvoll Musik-Fachhändler die Idee, den rückläufigen Verkaufszahlen von Schallplatten entgegenzuwirken und Vinyl in schwarzes Gold zu verwandeln. Die Idee bekam einen Namen: RECORD STORE DAY (RSD). Mit der Unterstützung von angegrauten, aber namhaften Musikschaffenden wie Iggy Pop, Jack White, Tom Waits oder Paul McCartney wurde ein Angebot an Spezialeditionen kreiert, welche nur an einem bestimmten Tag in den Plattenläden erworben werden konnte. Gepaart mit guter PR und einem vielseitigen Rahmenprogramm sollten diese Tonträger Fans, Sammler und Stammkunden in die verstaubten Ladenlokale locken und dem Medium internationale Aufmerksamkeit verleihen. Support your local record dealer hiess und heisst das Motto bis heute.
RECORD STORE DAY goes eBay
In den Geschäften, wo sich zu Beginn der Initiative am RSD an jedem dritten Samstag im April eine gemütliche Runde von Vinylliebhaber versammelte, spielen sich heute ganz andere Szenen ab: Bereits am Morgen versperrt eine wartende Menschentraube den Verkäufern den Zugang zu ihrem eigenen Geschäft. Wer ansteht, weiss oft schon, was er oder sie will, da jeder Special-Release auf der offiziellen RSD-Website vorgestellt und angepriesen wird. Sobald sich die Ladentüren öffnen, heisst es: „First come first serve.“ Zum plaudern und stöbern bleibt an diesem Tag weder Raum noch Zeit. Was als enthusiastischer Wiederbelebungsversuch einer kriselnden Branche gedacht war, entpuppt sich als internationale Schnitzeljagd.
Um mitzuspielen, muss man nicht unbedingt Vinylliebhaber sein, ein Gespür für Preisverläufe ist ausreichend. Denn kaum verlassen die raren Liebhaberstücke die Ladentheke, findet man die meisten von ihnen zu zwei- bis vierfachen Preisen auf e-Bay wieder (die weisse Spezialedition des U2 Albums etwa wurde auf eBay für rund 120 CHF angeboten und verkauft). Nach Ladenschluss geht die Jagd weiter – online.
Ein Produkt für moderne Nostalgiker
Obwohl die Plattenläden am Record Store Day Rekordumsätze verzeichnen, hinterfragen immer mehr Ladenbesitzer den Feiertag. Einerseits freuen sie sich über die erhöhte Aufmerksamkeit, die der Schallplatte zuteil wird, andererseits bedauern sie den ideologischen Zerfall eines Produktes, das für sie ein Lebensgefühl definiert.
Mit knapp 2% Anteil am Musikmarkt ist die Schallplatte, auch wenn sich die Verkäufe in den letzten 5 Jahren verdreifacht haben, noch immer ein Nischenprodukt. Trotzdem scheinen die Verkaufszahlen nun aussagekräftig genug, dass in England seit April 2015 wieder Vinyl-Charts erhoben werden.
Dies freut nicht nur die Fans, sondern vor allem die Major Labels (Universal, Warner und Sony), die im Vinyl ihre letzte Chance sehen, mit einem veralteten Geschäftsmodell nochmals Geld zu machen. Dank der CD liessen sich in den 80ern sämtliche Musik-Releases ein zweites Mal verkaufen, was die Majors – die den späteren Einstieg ins Online-Business verschlafen hatten – zeitweilig vor dem Untergang rettete.
Der Vinyl-Hype bietet nun die Gelegenheit, die alten Klassiker ein drittes Mal zu vermarkten und damit ein junges Publikum zu erreichen, das Vinyl gerade erst für sich entdeckt hat. Besonders beliebt sind Neupressungen alter Klassiker, wie Alben von The Beatles, Pink Floyd, Led Zeppelin oder Miles Davis sowie hübsche Spezialeditionen in buntem Vinyl, farbig bedruckt und limitiert, wie man sie auch am RSD erwerben kann. Viele angesagte Bands plädieren aus nostalgischer Motivation für die schwarze Scheibe, während die Tonträgerindustrie den Trend mit aller Kraft vorantreibt. Zu kurz kommen dabei jene, die das Vinyl jahrelang am Leben erhielten, nämlich alternative Künstler und Indie-Bands, die aufgrund der Überbeanspruchung der wenigen übriggebliebenen Presswerke ihre Alben nicht mehr oder nur mit enormen Wartezeiten produzieren lassen können.
Hörst Du noch oder legst Du schon auf?
Was die einen als Renaissance feiern, ist für andere eine Neuentdeckung. Wer schon einmal seine iTunes-Dateien gelöscht hat, weiss, wie unfassbar – im wörtlichen Sinne – digitale Musiksammlungen sind. Die Cloud schafft diesbezüglich mehr Sicherheit, bleibt aber ebenfalls auf einer abstrakten Ebene. Bei den digital Natives scheint die LP ein Bedürfnis nach einem physischen Korrelat zu stillen. Während die Langspielplatte bei älteren Semestern Kindheitserinnerungen weckt, ist sie für die Jungen schlicht eine Sensation. Der Zauber des physischen Auflegens verschmilzt mit dem Bedürfnis nach Distinktion. Die Musik der Lieblingsband in den Händen zu halten, ist auch für jene ein Erlebnis, die online konsumieren. Dabei symbolisiert die Platte ein kleines Stück Kunst, das man stolz präsentiert. Erst recht, wenn es sich um eine rare Pressung handelt.
Vinyl, einst ein Nischenprodukt der Independent-Szene, mutiert zum Accessoire einer nostalgisch geprägten Subkultur. Vintage Boutiquen, Modeläden und Design-Shops bieten immer häufiger ein kuratiertes Angebot an Schallplatten. Doch am authentischsten lassen sich Schallplatten im Plattenladen erwerben. So sind es vor allem junge Leute, die am Record Store Day mit dem Rucksack auf die Pirsch gehen, um die Spezialedition einer Platte zu ergattern, die im Original bei ihrem Opa auf dem Estrich verstaubt. Die Major Labels freut’s!
Fiona Knecht, Jahrgang 1985, hat 2011 den Master of Arts in Design abgeschlossen und ist seither als Gestalterin und Beobachterin im Spannungsfeld Musik, Medien und Design tätig. Sie betreibt ein Musikfachgeschäft in Zürich und arbeitet im Master Kulturpublizistik an der ZHdK als wissenschaftliche Mitarbeiterin.