Art Spiegelman ist einer der berühmtesten zeitgenössischen Comic-Künstler und auf seine Weise ein Kulturpublizist. Ein Bild innerhalb eines 1993 im New Yorker publizierten Cartoons zeigt ihn im Dialog mit dem unlängst verstorbenen und noch etwas berühmteren Zeichner und Autor Maurice Sendak. Liebevoll bringt er hier das Phänomen, die subjektiv empfundene Unfähigkeit in der eigenen Arbeit gleichzeitig zu behaupten und zu widerlegen, in wunderbarer Weise auf den Punkt.
Das Impostor-Syndrom „ist ein psychologisches Phänomen, bei dem Betroffene unfähig sind, ihre Erfolge zu internalisieren. Trotz offensichtlicher Beweise für ihre Fähigkeiten sind Betroffene davon überzeugt, dass sie sich ihren Erfolg erschlichen und diesen nicht verdient haben.“ (Quelle: Wikipedia)
Wie man ein solches Syndrom als Betroffene auch sehr gekonnt zur Selbstinszenierung nutzen kann, demonstriert Kathrin Passig in einer Veranstaltung des Master Kulturpublizistik. Bis zum Schluss kokettiert die Autorin, Netzexpertin und Bachmann-Preisträgerin mit dem offenherzigen Darlegen ihrer selbstdiagnostizierten Defizite, unterläuft mit ihrem Scharfsinn und ihrer trockenen Rhetorik diese Diagnose konstant und kontert die Skepsis des Publikums mit einem Höchstmass an lakonischem Charme. Glaubt man ihren Worten, so kocht sie nicht nur bloss mit Wasser, sondern mit sogar lauwarmem, und der grösste Teil ihrer Anstrengungen besteht darin, dies das Publikum nicht merken zu lassen. Dessen ungeachtet gehört die pointierte Selbstbezichtigung zu Passigs bevorzugten rhetorischen Figuren. Dass sie faul und undiszipliniert sei, hat sie zum Anlass genommen, zusammen mit Sascha Lobo ein Prokrastinationsbuch mit dem Titel „Dinge geregelt kriegen ohne einen Funken Selbstdisziplin“ zu publizieren. Dass sie dennoch eine sehr erfolgreiche Autorin und Beobachterin ist, kann ihr zufolge nur eine Verkettung glücklicher Zufälle sein, ganz wie es die Definition beschreibt: „Von Anderen als Erfolge angesehene Leistungen werden von den Betroffenen mit Glück, Zufall oder mit der Überschätzung der eigenen Fähigkeiten durch andere erklärt.“
Passigs Texte, soweit sie online nachzulesen sind, zeichnen sich durch eine Unvoreingenommenheit gegenüber den Ereignissen aus, die möglicherweise tatsächlich gar keine bewusst eingenommene Position darstellt. Was ihre Beobachtungen nicht nur des Geschehens, sondern stets auch ihrer selbst in Interaktion mit der Umwelt charakterisiert, ist eine rare Wärme der ironischen Distanz und eine zu bestechender Schlichtheit verdichtete Sprache, sozusagen eine Exzellenz des Understatements – leicht, intelligent und unterhaltsam. Es gehört schon einiges dazu, mit lauwarmem Wasser zu kochen. (KS)