Rechenzentren sind Blackboxes, die in der Regel versteckt in Industriegebieten vor sich hin prozessieren. In der Ostschweiz wurde jetzt eines gebaut, das stolz darauf ist, besonders grün zu sein. Ein Rundgang durch das Rechenzentrum Ostschweiz, bei dem am Ende Käse herauskommt.
von Silvia Posavec —
Zwei grüne Bodenmarkierung in Form von Schuhabdrücken kenn- zeichnen die Stelle, an der man stehen muss, um in der sogenannten Vereinzelungsanlage des Rechenzentrums Ostschweiz von Kameras und Sensoren biometrisch erfasst werden zu können. Rechts von den grünen Fussstapfen ist ein rotes Koffer-Piktogramm angebracht, hier darf man seine Tasche abstellen, auch sie wird durchleuchtet.
In einem Film würden sich jetzt die zwei Schuhabdrücke wie von Geisterhand vom Boden lösen. Die Umrandung, die um die Piktogramme in der jeweiligen Farbe angebracht ist, würde mühe- los übersprungen – Hut, Stock und Aktentasche würden aus dem roten Taschenfeld gezaubert und von der imaginierten unsichtba- ren Person in Position gebracht. Der Geist eines virtuosen Fred Astaire würde leichtfüssig einen Satz nach vorn durch die Panzer- glasscheibe der Sicherheitstüre machen und in das dunkle Innere der Anlage steppen. Mit jedem Tap – Shuffle-Step – würde ein wei- terer Bewegungsmelder anspringen und die schmalen Gänge und Treppenhäuser aus Sichtbetonböden, -wänden und -decken grell erleuchten. Festgehalten würde das Ganze von den insgesamt 128 Full HD Kameras, die am und im Gebäude angebracht sind.
Doch nur Geister können sich hier frei bewegen – und Christoph Baumgärtner, der Geschäftsführer des im Frühjahr 2018 eröffneten Co-Location im ausserrhodischen Gais. Mit sicherem Schritt geht er durch die Schleusentür voran und erklärt, dass das Rechenzentrum «dunkel» betrieben wird. Es ist kein Personal vor Ort, die Server der Firmen, die sich hier bereits eingemietet haben, rechnen alleine vor sich hin. Tag und Nacht, ummantelt von 40 Zentimeter dicken Stahlbetonwänden. Das Rechenzentrum stellt die Infrastruktur zu Verfügung, die Anlage gewährleistet ihren Kunden sowohl ununterbrochene Stromversorgung und Kühlung ihrer Geräte als auch Sicherheit. Zutritt zu den Racks, den Schrän- ken, in denen die Firmen ihre Server an das Glasfasernetz anschlie- ssen, hat nur, wer zuvor autorisiert und biometrisch erfasst wurde. Die Vereinzelungsanlage ist eine Schleuse, die sicherstellt,
dass immer nur eine Person das Gebäude betritt. Doch auch da- nach ist Sicherheit geboten. Vor jeder Tür hält Baumgärtner seine rechte Hand an eine Vorrichtung an der Wand. Der Handflä- chen-Venen-Biometrie-Sensor durchleuchtet mit 80’000 Lumen Haut und Knochen und gleicht die Struktur der Venen, die bei je- dem Menschen wie der Fingerabdruck verschieden ist, mit den ge- speicherten Daten ab. «Einen Badge oder einen Pin kann man wei- tergeben, seine Biometrie nicht», betont Baumgärtner. Vom ersten drei Meter hohen Zaun, der um das Gebäude steht, bis zu den Racks im Rechnerraum lassen sich so alle Türen wie von Geisterhand öff- nen – dabei wird lückenlos jeder Schritt in einem Log-File gespei- chert. Es kann genau nachvollzogen werden, wer welche Tür und welchen Schrank zu welcher Uhrzeit und wie lange geöffnet hat.
So gesichert dürfte es wohl kaum ein realistisches Szenario sein, dass sich ein Einbrecher mit einem Vorschlaghammer die am- bitionierte Aufgabe stellt, gleich mehrere alarmgesicherte Sicher- heitstüren einzuschlagen, um an die Hardware zu kommen. Allein für eine Tür bräuchte er, wie Baumgärtner nebenbei erwähnt, be- reits etwa 20 Minuten – bis dahin sei die Polizei über den Sicher- heitsdienst schon längst informiert und vor Ort.
Vor wem man Angst hat? «Wir wissen es nicht» sagt Baum- gärtner. «Banken, Versicherungen, Krankenkassen und Treuhän- der haben natürlich sensible Daten. Deshalb versuchen wir alles zu unternehmen, dass zumindest niemand auf dem physischen Weg an die Daten herankommt». Klar wird, dass es sich um Abschre- ckungsmassnahmen handelt und es auch darum geht, an der Stelle Sicherheit zu bieten, wo man es kann.
Das Rechenzentrum in Gais kann man sich als Parkhaus für Firmenserver vorstellen. Für die Sicherheit der Systeme, die Ver- schlüsselung der Daten etwa, sind die Unternehmen jedoch selber verantwortlich. Es ist also nicht auszuschliessen, dass die bösen Geister über die Glasfasernetze einen Weg in das Innere des Re- chenzentrums finden. Doch der Geschäftsführer beharrt darauf:
«Es wird sich kaum einer eine so hohe Sicherheit leisten können, der sich selber ein Serverraum baut. Es ist teuer und aufwendig. Das ist der Vorteil von Rechenzentren, gewisse Kosten sind einfach durch mehrere Kunden teilbar».
Das «Schmuckstück»
Zielgruppe des Rechenzentrums Ostschweiz sind kleine und mitt- lere Unternehmen aus der Region. Mit einer Fläche von 900 Qua- dratmetern gehört es zu den mittelgrossen Anbietern in dieser Branche. Das Rechenzentrum Ostschweiz wurde von den St.Gal- lisch-Appenzellischen Kraftwerken (SAK) gebaut, später beteilig- ten sich auch die St.Galler Stadtwerke an dem Projekt. Das Unter- nehmen gehört heute zu 80 Prozent der SAK und zu 20 Prozent den Stadtwerken. Unternehmen wie Google und Apple bauen weltweit eigene Rechenzentren, für die Anwerbung von Grosskunden wie zum Beispiel Microsoft. Dafür hat das Gaiser Rechenzentrum aber nicht genügend Kapazität.
Für seine künftigen Kunden hat man einen Aufenthaltsraum im Gebäude eingerichtet. Für den Fall, dass man sich physisch am Rechenzentrum einfindet, um Kundengespräche zu führen oder Wartungsarbeiten vorzunehmen. Baumgärtner nennt die Lounge im ersten Obergeschoss «das Schmuckstück des Gebäudes». Auf den Sichtbetonwänden imitieren überdimensionale rückbeleuch- tete Fotografien den Ausblick auf das heimische Alpsteinpanora- ma. Ein massiver Holztisch steht als Konferenz- und Esstisch im Mittelpunkt des Raumes, darum herum gibt es verschiedene Ar- beitsplätze und eine Kaffeemaschine. Am Ende des Raumes eröff- net ein grosses Fenster den Blick auf den beschaulichen Ortskern auf dem Hügel.
Als Standort erscheint einem die Gemeinde Gais erst einmal ungewöhnlich. Ausschlaggebend für die Entscheidung hier zu bau- en war die Lage: «Auf 920 Metern über Meer ist es erheblich küh- ler», erklärt Baumgärtner. «Die drei bis vier Grad machen einen Unterschied aus, da Kühlleistung gespart wird». Durch den Einsatz von Kreuz-Strom-Wärme-Platten-Tauschern könne das Rechen- zentrum ohne zusätzliche Massnahmen durch den Abgleich mit die anderen, über dem Kaffeetischchen wieder in Reih und Glied steht. Selbstbewusst verkündet er: «Das Rechenzentrum zeichnet aus, dass es das Grünste ist! Das ist unser Alleinstellungsmerkmal». Vor dem Bau hat man mit den Nachbarn im vorgelagerten Industriegebiet der Gemeinde und den kantonalen Ämtern Kon- takt aufgenommen und eng mit ihnen zusammengearbeitet. Es war wichtig, transparent zu sein und zu erklären, was die SAK auf der Parzelle plant. Das Projekt stiess auf Zustimmung, auch wenn das Gebäude von aussen wie ein Fremdkörper wirkt, wie ein schwarzer Klotz, mitten im idyllischen Alpenpanorama.
Verbunden durch den Wasserkreislauf
Um zusätzlich Strom zu gewinnen, ist die Fassade mit Photovoltaik ausgestattet. Auch diese Massnahme gehört zur grünen Strategie des Unternehmens. Stolz ist Baumgärtner auf die geplante Zusam- menarbeit mit der benachbarten Berg-Käserei Gais. «Abwärme nutzbar zu machen ist eine Herausforderung. Rechenzentren pro- duzieren konstant Wärme und brauchen Abnehmer, die konstant viel Wärme benötigen. Jedes Rechenzentrum versucht solche Zu- sammenarbeiten zustande zu bringen». Es sei ein glücklicher Zu- fall, dass die entstehende Prozesswärme des Rechenzentrums von der benachbarten Käserei direkt verwendet werden kann.
Das Rechenzentrum und die Käserei sind mit einem Wasser- kreislauf verbunden. Das Wasser wird durch die Abwärme auf 20 Grad erhitzt. Auf der Seite der Käserei wird dem Wasser Energie entzogen und somit auf 14 Grad heruntergekühlt, bevor es wieder zurückfliesst. Die Käserei soll diese Energie dazu nutzen, um jähr- lich 10 Millionen Liter Milch zu pasteurisieren. Das Rechenzent- rum wiederum schafft es, ein Abfallprodukt – die Abwärme – nütz- lich zu machen und so ebenfalls Energie, die es ansonsten zur Kühlung der Racks aufbringen müsste, zu sparen. Durch diese Sek- torenkopplung entsteht eine Synergie zwischen den Unternehmen. Doch im Moment befindet sich die Käserei noch im Bau und das Rechenzentrum ist zu wenig ausgelastet, um genügend Abwärme an den neuen Nachbarn liefern zu können.
Bislang hat das Rechenzentrum Ostschweiz noch genügend Platz für Neukunden. In den nächsten sechs Jahren sollen 270 Racks vermietet werden, das entspräche einer Auslastung von 90 Prozent. Und es soll weitergebaut werden: Das nächste Rechenzen- trum ist in St.Gallen geplant; wenn das Umspannwerk der SAK ne- ben der Anlage in Gais ausgedient hat, soll das jetzige Rechenzent- rum durch einen Anbau erweitert werden.
Geht man also von einer stetigen Zunahme der Datenmenge aus? Zwei Entwicklungen stehen sich ausgleichend gegenüber. Ei- nerseits entwickelt sich die Speichertechnologie immer weiter, es wird weniger Platz benötigt, um grosse Datenmengen zu speichern. Auf der anderen Seite werden aber immer mehr Daten produziert und gespeichert. Beispielsweise werden neue Anwendungen, etwa das umstrittene «Internet der Dinge», künftig immer mehr Spei- cherplatz benötigen. Unsere gewöhnlichen Alltagsgegenstände werden digitalisiert und untereinander vernetzt. Dies geschieht über und in Rechenzentren. Sie sind heute schon ein fester Be- standteil unserer Infrastruktur – und werden es auch bleiben.
Dabei wissen wir nicht, was alles über uns auf diesen Ser- vern in den Rechenzentren gespeichert ist. Als User ist man sich seines digitalen Fussabdrucks nicht immer bewusst. Auch wissen wir nicht, welche Server in welchen Rechenzentren wir bedienen, wenn wir unsere Apps verwenden. Aber es ist amüsant darüber nachzudenken, dass es durchaus sein könnte, dass man mit dem eigenen Datenfluss nebenbei noch etwas Käse produziert. der Aussenluft gekühlt werden. Nebenbei tippt Baumgärtner ganz leicht, mit Zeige- und Mittelfinger, auf den kupferfarbenen Lam- penschirm einer energieeffizienten Led-Pendelleuchte, bis sie, wie die anderen, über dem Kaffeetischchen wieder in Reih und Glied
steht. Selbstbewusst verkündet er: «Das Rechenzentrum zeichnet aus, dass es das Grünste ist! Das ist unser Alleinstellungsmerkmal». Vor dem Bau hat man mit den Nachbarn im vorgelagerten Industriegebiet der Gemeinde und den kantonalen Ämtern Kontakt aufgenommen und eng mit ihnen zusammengearbeitet. Es war wichtig, transparent zu sein und zu erklären, was die SAK auf der Parzelle plant. Das Projekt stiess auf Zustimmung, auch wenn das Gebäude von aussen wie ein Fremdkörper wirkt, wie ein schwarzer Klotz, mitten im idyllischen Alpenpanorama. Verbunden durch den Wasserkreislauf Um zusätzlich Strom zu gewinnen, ist die Fassade mit Photovoltaik
ausgestattet. Auch diese Massnahme gehört zur grünen Strategie des Unternehmens. Stolz ist Baumgärtner auf die geplante Zusammenarbeit mit der benachbarten Berg-Käserei Gais. «Abwärme
nutzbar zu machen ist eine Herausforderung. Rechenzentren produzieren konstant Wärme und brauchen Abnehmer, die konstant viel Wärme benötigen. Jedes Rechenzentrum versucht solche Zusammenarbeiten zustande zu bringen». Es sei ein glücklicher Zufall, dass die entstehende Prozesswärme des Rechenzentrums von der benachbarten Käserei direkt verwendet werden kann.
Das Rechenzentrum und die Käserei sind mit einem Wasserkreislauf verbunden. Das Wasser wird durch die Abwärme auf 20 Grad erhitzt. Auf der Seite der Käserei wird dem Wasser Energie
entzogen und somit auf 14 Grad heruntergekühlt, bevor es wieder zurückfliesst. Die Käserei soll diese Energie dazu nutzen, um jährlich 10 Millionen Liter Milch zu pasteurisieren. Das Rechenzentrum
wiederum schafft es, ein Abfallprodukt – die Abwärme – nützlich zu machen und so ebenfalls Energie, die es ansonsten zur Kühlung der Racks aufbringen müsste, zu sparen. Durch diese Sektorenkopplung
entsteht eine Synergie zwischen den Unternehmen. Doch im Moment befindet sich die Käserei noch im Bau und das Rechenzentrum ist zu wenig ausgelastet, um genügend Abwärme an den neuen Nachbarn liefern zu können.
Bislang hat das Rechenzentrum Ostschweiz noch genügend Platz für Neukunden. In den nächsten sechs Jahren sollen 270 Racks vermietet werden, das entspräche einer Auslastung von 90 Prozent. Und es soll weitergebaut werden: Das nächste Rechenzentrum ist in St.Gallen geplant; wenn das Umspannwerk der SAK neben der Anlage in Gais ausgedient hat, soll das jetzige Rechenzentrum durch einen Anbau erweitert werden. Geht man also von einer stetigen Zunahme der Datenmenge aus? Zwei Entwicklungen stehen sich ausgleichend gegenüber. Einerseits entwickelt sich die Speichertechnologie immer weiter, es
wird weniger Platz benötigt, um grosse Datenmengen zu speichern. Auf der anderen Seite werden aber immer mehr Daten produziert und gespeichert. Beispielsweise werden neue Anwendungen, etwa
das umstrittene «Internet der Dinge», künftig immer mehr Speicherplatz benötigen. Unsere gewöhnlichen Alltagsgegenstände werden digitalisiert und untereinander vernetzt. Dies geschieht
über und in Rechenzentren. Sie sind heute schon ein fester Bestandteil unserer Infrastruktur – und werden es auch bleiben. Dabei wissen wir nicht, was alles über uns auf diesen Servern in den Rechenzentren gespeichert ist. Als User ist man sich seines digitalen Fussabdrucks nicht immer bewusst. Auch wissen wir nicht, welche Server in welchen Rechenzentren wir bedienen, wenn wir unsere Apps verwenden. Aber es ist amüsant darüber nachzudenken, dass es durchaus sein könnte, dass man mit dem eigenen Datenfluss nebenbei noch etwas Käse produziert.