von Philipp Spillmann –
Der Kriegsfotograf Christoph Bangert veröffentlichte 2014 ein Buch mit Bildern, die vielen Medien zu brutal waren, um sie zu drucken. Es thematisiert die Bedingungen journalistischer Zensur und fragt danach, welchen dokumentarischen Wert Gewaltdarstellungen besitzen.
War Porn – Kriegspornografie – lautete der Name eines Buches, das der deutsche Fotojournalist Christoph Bangert 2014 beim Kehrer Verlag herausbrachte. Bangert versammelt darin Bilder von Gewaltschauplätzen, die es nicht in den Druck geschafft haben, weil sie zu explizit waren. Die Fotos sind sehr unterschiedlich. Manche sind blutig, andere fast unwirklich schön. Wie zum Beispiel das Bild eines Tsunamitoten von 2005, der mit dem Gesicht nach unten im Wasser treibt. Er wird von farbigen Holztrümmern umrahmt, während sich grüne Wolken an der Oberfläche spiegeln. Das Grauenhafte wird zur Poesie des Grauens.
Der Titel »War Porn« will provozieren. Er will aber auch darauf hinweisen, wie die Zensur von Gewaltdarstellungen legitimiert wird. Der Wochenzeitung »Die Zeit« sagte Bangert:
»Der Begriff War Porn – Kriegspornografie – wird in der Debatte um extreme Bilder häufig als Totschlagargument gebracht. Dann heißt es: Die Fotos sind pornografisch, voyeuristisch, entmenschlichend. Natürlich tragen diese Bilder immer etwas Entmenschlichtes in sich, weil das, was sie zeigen, so unglaublich ist: Dass ein Mensch zu Tode gefoltert und auf einer Mülldeponie entsorgt wird. Das Bild deswegen verwerflich zu nennen, ist aber eine Ausrede. Damit vermeidet man, sich mit den Ereignissen, die sie zeigen, auseinanderzusetzen.«[1]
Damit bricht Bangert mit einer verbreiteten Haltung, der zufolge die Darstellung nackter Gewalt keinen dokumentarischen Wert besitzt und somit in reinen Exhibitionismus umschlägt. Diesem Standpunkt hält er entgegen, dass die Schreckensbilder von sich aus niemanden entwürdigen, sondern lediglich das Entwürdigende der Brutalität festhalten.
Das besondere an Bangerts Argument ist, dass es das Terrain der Diskussion wechselt. Er ignoriert die Frage, unter welchen Umständen ein Bild entwürdigend wird. Stattdessen konzentriert er sich auf die Frage, worin der dokumentarische Wert von Brutalität selbst besteht.
Dass diese beiden Fragen allerdings nicht so leicht zu trennen sind, zeigt eine Stellungnahme[2] des Schweizer Presserates aus dem Jahr 1998 zum »Umgang mit Schock- und Peoplebildern«. Dem Kommuniqué zufolge ist ein Bild erst dann ein Dokument, wenn es »historisch genau festlegbar ist«. Ist aus dem Bild heraus nicht ersichtlich, wann und wo es aufgenommen wurde, kann es aus sich heraus nicht mehr verstanden werden. Ohne das Wissen um den Kontext wird das Bild bezugslos und damit austauschbar. Ein so aufgemachtes Gewaltbild erzählt keine Geschichte mehr, die von Gewalt handelt, sondern zeigt nur noch Gewalt. Gerade damit verkehrt sich aber der Sinn der Bilder: Anstatt durch Brutalität auf ein Unrecht hinzuweisen, wird das Unrecht genutzt, um Brutalität auszustellen. Die abgebildeten Personen werden zu Objekten eines Blicks, der sie nicht verstehen, sondern exponieren will. Das Bild kippt ins Pornografische.
Dieser Logik folgend könnte man sagen, dass Bilder nackter Gewalt dann einen dokumentarischen Wert erhalten, wenn sie diese lokalisierbar – und damit nichtbeliebig – machen. Das ist bemerkenswert, weil damit nichts über die Art, das Ausmass und die Explizitheit der dargestellten Brutalität gesagt ist. Gerade hier setzt Bangert an. Ihm zufolge sind die Gewaltbilder grausam, weil sie das Grauen bezeugen, das zum Bild geführt hat. Solche Bilder haben Dokumentwert, weil das Grausame selbst einen dokumentarischen Wert hat. Dass jemand zu Tode gefoltert und anschliessend auf einer Mülldeponie entsorgt wird, darf deshalb nicht undokumentiert bleiben.
Warum das Grauen selbst einen dokumentarischen Wert haben soll, wird in dem zitierten Interview aber nicht näher behandelt. Mindestens drei Antworten sind denkbar: 1. Eine Veröffentlichung expliziter Gewaltdarstellungen hat zum Zweck, die Dimensionen der Gewaltanwendung im dahinterstehenden Konflikt deutlich zu machen. Diese Überlegung geht davon aus, dass die Formen von Gewalt Rückschlüsse auf die Natur eines Konflikts erlauben. Demnach wäre dieser nur unvollständig oder sogar einseitig dokumentiert, wenn man sich über diese Dimension ausschweigt. 2. Der Dokumentwert von Gewaltdarstellungen besteht darin, das Grauen, die Brutalität und den Schrecken erfahrbar zu machen. Hier besteht die Annahme, dass ein Dokument nicht nur Wissen, sondern auch Erfahrung vermitteln kann und soll. Das Dokument hätte damit die Aufgabe, dass sich die Betrachter in die Situation hineinversetzen können. Das Publikum soll sich aufgrund seiner Betroffenheit nicht mehr vom Thema abwenden können. 3. Gewalt unzensiert zu zeigen hat deshalb dokumentarischen Wert, weil sie nicht zu zeigen heisst, sie zu verdrängen. Dieser Gedanke basiert auf der Auffassung, dass Dokumente die Funktion haben, Zeugnis abzulegen. Werden gewisse Dinge der Öffentlichkeit vorenthalten, verfälscht das das kollektive Gedächtnis.
Diese drei Antworten heben drei verschiedene Aufgaben der Dokumentararbeit hervor. Dem ersten Punkt geht es um ein möglichst umfassendes Verstehen, dem zweiten um Anteilnahme und dem dritten um Erinnerungskultur. Damit verbunden sind drei verschiedene Ethiken des Dokumentarischen: Oberste Pflicht des Kriegsreporters ist es entweder, Sachverhalte nachzuvollziehen, Ereignisse nacherlebbar zu machen oder Wissen zu sichern.
Gerät bei einem Bild der dokumentarische Auftrag prinzipiell in Konflikt mit der Bewahrung der Menschenwürde, ergibt sich ein ethisches Dilemma: Zwei Maximen, die beide in sich gerechtfertigt scheinen, aber gegensätzliche Handlungen gebieten, prallen aufeinander. Bei der Entscheidung, ob ein solches Bild gedruckt werden soll oder nicht, geht es nicht darum, ob das Zeigen des Bildes ethisch vertretbar ist oder nicht, sondern letztlich darum, welcher ethischen Maxime der Vorrang zu lassen ist. Der Umgang mit Gewaltbildern erfordert es also, über die Grundsätze journalistischer Ethik selbst nachzudenken.
Hier liegt die Pointe von Bangerts Feststellung: Auch ein Bild, dessen dokumentarischer Wert gerade durch eine Blossstellung und scheinbare Entwürdigung des gezeigten Menschen entsteht, kann nicht per se als unethisch bezeichnet werden. Daher ist das Schlagwort »War Porn« ein ideologisches Blendlicht: Es setzt bereits voraus, dass die Menschenwürde unter allen Umständen höher anzusiedeln ist als die journalistische Pflicht, die Öffentlichkeit über Vorgänge, die klar gegen die Menschenwürde verstossen, zu informieren.
Indem Bangert in seinem Buch gerade jene Bilder zeigt, die vielen Redaktionen zu brutal waren, und dieses Buch kontrastierend dazu »War Porn« nennt, wirft er die Frage auf, ob die Medien die Verantwortung auch wahrnehmen, die mit der ihnen gegebenen Macht verbunden sind, ethische Grundsatzentscheidungen über ihre Berichterstattung zu treffen. Eine Antwort bietet er nicht an. Stattdessen übergibt er die Frage an seine Leser, die in seinem Buch die Wahl haben, die Bilder einiger extra zugeklebter Seiten quasi gewaltsam freizulegen.
[1] http://www.zeit.de/kultur/2014-06/christoph-bangert-war-porn-interview/komplettansicht
[2] https://presserat.ch/complaints/umgang-mit-schock-und-people-bildern-stellungnahme-vom-20-februar-1998/