Bericht aus der Praxis
von Franz Beidler —
Der Stadtanzeiger Olten
Der Stadtanzeiger Olten ist eine wöchentliche Lokalzeitung für die Stadt Olten und die umliegenden Gemeinden. Das Blatt erscheint jeweils donnerstags in einer Auflage von rund 34’000 Exemplaren und ist das amtliche Publikationsorgan der Stadt Olten. Dieser Amtlichkeit wegen wird der Stadtanzeiger als Gratiszeitung in alle Haushalte im Einzugsgebiet verteilt. Herausgeberin ist die CH Regionalmedien AG, die seit Herbst 2019 dem Joint Venture CH Media angehört. Die Redaktion des Stadtanzeigers setzt sich aus der Redaktionsleiterin Mirjam Wetzstein in einem Vollzeitpensum und mir in einem Halbzeitpensum zusammen. Der Anzeigenverkauf übernehmen drei Personen, die allerdings parallel für das Oltner Tagblatt arbeiten. Das Oltner Tagblatt ist eine Tageszeitung und gehört ebenfalls CH Media. Die Redaktion des Stadtanzeigers ist zuständig für rund zehn Seiten im gängigen Broadsheet-Format. Diese sind unterteilt in Frontseite mit nebenstehender Kolumne, einer Stadtseite, einer Gewerbeseite, einer Vereinsseite, einer Seite mit dem Titel ‹Im Gespräch›, einer Seite mit einem fotografischen Rückblick, einer Veranstaltungsseite, einer Kinoseite und einer Agenda auf der letzten Seite. Jede dieser Seiten besteht aus einem Hauptartikel und mehreren kleineren Beiträgen. Die Hauptartikel der Front, der Vereinsseite, ‹ Im Gespräch› und der Rückblick sind immer Eigenleistungen der Redaktion. Die kleineren Artikel auf der Stadtseite können der Funktion als amtliches Publikationsorgan der Stadt Olten dienen. Der Hauptartikel der Stadtseite ist aber üblicherweise ebenfalls eine Eigenleistung. Die Beiträge auf der Gewerbeseite, der Kinoseite und der Veranstaltungsseite sowie die kleineren Beiträge werden in aller Regel von den Firmen, den Kinobetreibern, den Veranstaltern oder den Vereinen zur Verfügung gestellt. Wegen der Corona-Pandemie wurde die Erscheinung des Stadtanzeigers Olten von April 2020 bis August 2020 auf einen zweiwöchentlichen Rhythmus reduziert. Weil bisweilen sämtliche Veranstaltungen abgesagt wurden, fielen der fotografische Rückblick, die Veranstaltungsseite sowie die Agenda zeitweise weg.

Chronik meiner Tätigkeit für den Stadtanzeiger Olten
Für den Stadtanzeiger Olten bin ich seit dem Frühling 2017 tätig. Damals begann ich als freier Mitarbeiter in regelmässigen Abständen für die Zeitung zu schreiben. Die Redaktionsleiterin kontaktierte mich und gab mir den Auftrag, ein Interview zu führen und ein Foto zu machen. Zuhause schrieb ich den Artikel und wählte das passende Foto aus. Per Mail schickte ich den Text an die interviewte Person. Mit deren Änderungen oder Einverständnis leitete ich den Text an die Redaktion weiter. Dort wurde er ins Layout gebracht und anschliessend gedruckt. Oft übernahm ich auch den fotografischen Rückblick. Dazu musste ich einen Anlass besuchen und die Leute dort davon überzeugen, sich für die Zeitung ablichten zu lassen. Ab August 2018 wurde ich als Redakteur fest angestellt. Seither bin ich üblicherweise jede Woche zuständig für zwei Hauptartikel, sowie die Agenda auf der letzten Seite, die Sportagenda, separat auf der Vereinsseite mit Sportanlässen, die Kinoseite und die Veranstaltungsseite. Ausserdem ist es meine Aufgabe, die Leute für die Geburtstagsbox anzurufen. In der Geburtstagsbox gratuliert der Stadtanzeiger Olten Menschen, die in der jeweiligen Woche 80-, 85-, 90- oder 95-jährig und älter werden.
Üblicher Arbeitsablauf
Der Arbeitsablauf ist auf den Redaktionsschluss am Dienstagabend ausgerichtet. Entsprechend muss ich jeweils montags und dienstags fix in der Redaktion präsent sein. Grundsätzlich schreibe ich am Montag die beiden Hauptartikel. Die Erfahrung zeigt, dass ich dafür pro Artikel rund dreieinhalb Stunden benötige. Dazwischen rufe ich schon mal die Menschen für die Geburtstagsbox an, da sie nicht immer erreichbar sind. Seit Herbst 2018 versuche ich ausserdem, jeden Montagvormittag eine Redaktionssitzung mit der Redaktionsleiterin einzuberufen und die Beiträge der nächsten Ausgabe festzulegen. So kann ich jeweils montags die Leute anschreiben, die ich in der folgenden Woche treffen muss. Am Vormittag des Dienstags suche ich die Daten für die Agenda auf der letzten Seite und die Sportagenda zusammen. Dazu arbeite ich eine Liste von Veranstaltern und Anbietern ab, mit deren Termine ich jene ergänze, die von der Terminsoftware, über die die Veranstalter ihre Termine selber eintragen, ins Layout übertragen wurden. Dann erstelle ich die Kinoseite. Die Texte und Bilder stehen im Internet zur Verfügung. Das ist also eine reine Layoutarbeit. Danach bringe ich die kleineren Beiträge in eine Form. Dazu muss ich die zur Verfügung gestellten Texte oft überarbeiten, meist um sie in die richtige Länge zu bringen. Idealerweise beginnen wir zwischen 15 und 16 Uhr mit dem Gegenlesen. Dann lese ich die ganze Zeitung durch und nehme letzte Korrekturen vor. Meist bleibt keine Zeit für grosse Änderungen. Vielmehr muss ich Nutzen gegenüber Aufwand abwägen. Solche Kurzzeitlösungen finden zu müssen, kann frustrierend, aber auch spannend sein.
Die Planung der Beiträge
Über die Planung der Beiträge sind sich die Redaktionsleiterin und ich nicht immer einig. Sie verweist jeweils auf die Schwierigkeit, zwei Wochen vorher ein Thema festzulegen. Ich argumentiere jeweils, dass diese Zeit nötig ist, um Alternativen zu finden, sollte ein Interviewtermin nicht wie gewünscht stattfinden. Eine Wochenzeitung kann weniger dem Tagesgeschehen, sondern eigentlich nur dem Hintergrund verpflichtet sein. Während sie gerne kurzfristig entscheidet, verwende ich lieber mehr Zeit, nach guten Themen zu suchen, um sie dann auch frühzeitig festlegen zu können.
Die Entscheidung, welche Themen behandelt werden sollen, gleicht einem Balanceakt: Einerseits schreiben wir, um gelesen zu werden und wollen über das schreiben, was unsere Leserschaft interessiert. Andererseits müssen wir Themen bearbeiten, die sich aufdrängen. Das kann ebenso eine grosse Veranstaltung wie die Oltner Fasnacht sein oder ein umstrittener Entscheid des Stadtrates. Zuletzt wird die Themenwahl auch von den eigenen Idealen geprägt: Wofür soll sich unsere Leserschaft interessieren? Diese Gratwanderung macht Entscheidungen zur Themenwahl gleichzeitig herausfordernd und interessant.
Nicht nur, aber auch in der Arbeit beim Stadtanzeiger bin ich mir der Schwierigkeit, Themen zu finden und Beiträge zu planen, bewusst geworden. Nicht zuletzt deshalb habe ich mich im Rahmen der Fallanalyse im Herbstsemester 2018 mit diesem Thema auseinandergesetzt. Ausserdem versuche ich mich vermehrt beim Stadtanzeiger in der Planung der Beiträge einzubringen. Gerade bei einer Lokalzeitung ist das als Aussenstehender (also als Berner, oder mehr noch, Dörfler aus dem Grossen Moos, in Olten) aber schwierig, da es durchaus viele Themen gibt, die lokal sehr relevant, national oder gar international aber bedeutungslos sind. Beispiele hierfür sind Themen der lokalen Politik: die Neugestaltung des Oltner Bahnhofs, der Neubau des Schulhaus Kleinholz, der Stadtanschluss von Olten Südwest. Während einem Oltner solche Titel Schlüsselbegriffe sind, die eine Kette von Assoziationen und oftmals auch politischen Fronten in Erinnerung rufen, tönen sie für einen Aussenstehenden generisch.
Das Führen der Interviews
Für das Gespräch plane ich, inklusive Foto, rund eine Stunde ein. Für Porträtgespräche benötige ich zwei Stunden. Es ist mir ein Anliegen, den Interviewten von vornherein eine Anfangs- und eine Endzeit des Gesprächs mitzuteilen. Gerne beginne ich jeweils mit dem Bild. Aus meiner Erfahrung kommt ein Treffen mit dem Gespräch zu einem natürlicheren Ende, als mit der Aufnahme eines Fotos. Auch sehen die Interviewten auf den Bildern weniger müde aus. Ich vermute, die Aussicht auf das Interview, auf das sie sich mental vermutlich mehr vorbereitet haben, verhilft ihnen zu mehr Körperspannung. Ich finde, das kommt einem Foto zu Gute. Dann beginne ich mit den Formalitäten, dem Erscheinungsdatum und wann ich ihnen den Text zum Gegenlesen schicke. Es ist die Vorgabe der Redaktion, alle Beiträge gegenlesen zu lassen. So bin ich darauf angewiesen, dass sich die Interviewten dafür Zeit reservieren. Danach lasse ich die Schreibweise ihres Namens überprüfen, frage nach der korrekten Bezeichnung ihrer Funktion, wie lange sie diese Funktion schon ausüben, ihrem Alter, Wohnort und Beruf. Dies bezeichne ich als Steckbrieffragen. Es sind simple Fakten, geben der Leserschaft aber einen schnellen Überblick zur Person. Dann stelle ich solche Steckbrieffragen auch zum Thema, also zum Beispiel Kennzahlen der Organisation. Danach bitte ich die Interviewten, einen Ablauf chronologisch zu erzählen. Je nach Fokus des Artikels kann das ein Teil ihres Lebenslaufs, die Vorbereitungen eines Anlasses, ihres Erlebens einer Situation, oder ein typischer Ablauf ihrer Organisation sein. Danach frage ich, weil sich chronologische Abläufe in einem Text meist gut erzählen lassen. Daraus entsteht idealerweise dann eine Geschichte. Ich versuche das Gespräch nicht zu brechen, sondern seinen natürlichen Fluss aufrechtzuerhalten. Oftmals frage ich nach, weil ich etwas besser verstehen muss. Oftmals sind das meiner Meinung nach auch jene Dinge, die ein Leser wissen muss, um die Situation zu verstehen. Zum Schluss frage ich nach, ob alles Wichtige im Gespräch vorgekommen ist und ob mein Gegenüber noch etwas erwähnen möchte. Oftmals wiederholen die Leute dann nochmals, was ihnen besonders wichtig ist. Das kann für mich hilfreich sein, um ihre Intention zu erkennen und im Text zu berücksichtigen. Während dem gesamten Gespräch mache ich mir Notizen. Das hat den Nachteil, dass ich den Interviewten nicht in die Augen schauen kann. Um das Gespräch aufzuzeichnen und abzutippen bleibt aber keine Zeit. Für die Zukunft sollte ich eine bessere Methode finden. Ich könnte vielleicht versuchen, das Gespräch aufzuzeichnen und in Echtzeit mit Zeitstempeln zu versehen. In Zukunft wird möglicherweise auch Software fähig sein, Dialekt in Echtzeit als Textfestzuhalten.
Das Schreiben der Beiträge
Vor dem Schreiben wähle ich ein Bild aus, schreibe eine Legende dazu und reserviere Platz für den Lead. Dann weiss ich ungefähr, wie lang der Text werden soll. Die Texte haben immer einen Umfang zwischen 3’500 bis 5’000 Zeichen. Sie sind also kurz. Vor dem Schreiben gehe ich alle meine Notizen durch und versuche einen passenden Einstieg zu finden. Dann finde ich es wichtig, einfach mal zu beginnen. So komme ich eher in einen Schreibfluss. Hilfreich für das Schreiben der Beiträge ist für mich das Modell: Titel, Lead, Szene, Nutshell. Danach versuche ich den Text zu gestalten. In der Nutshell kann ich die Antworten auf die Steckbrieffragen aufschreiben. Danach schreibe ich den geschilderten, chronologischen Ablauf auf. Den Schluss versuche ich neuerdings gerne kommentierend zu gestalten, wenn nicht von mir selber, dann von der interviewten Person. Ich laufe üblicherweise Gefahr, Schlüsse mit Pathos zu schreiben. Gerne hätte ich die Zeit, Texte nach dem Schreiben wenigstens eine Nacht ruhen zu lassen, um sie dann überarbeiten zu können.

Das Lektorieren der Beiträge
Stilistisch, wie auch inhaltlich, geniesse ich beim Stadtanzeiger grosse Freiheiten. Soweit ich mich erinnern kann, ist es zum Beispiel noch nie vorgekommen, dass die Redaktionsleiterin einen ganzen Satz, geschweige denn einen ganzen Absatz zur Unkenntlichkeit verändert oder gar ganz gestrichen hätte. Das ist sicherlich auch dem Termindruck geschuldet: Wenn wir am Dienstagnachmittag mit dem Gegenlesen beginnen, bleibt leider gar nicht genügend Zeit, sich vertieft über die Texte auszutauschen. Die Korrekturen beschränken sich üblicherweise auf die Rechtschreibung.
Hingegen überarbeite ich viele Texte, die zur Verfügung gestellt wurden, namentlich Pressemitteilungen. Solche Texte zu kürzen, zwingt mich, mir über den Informationsgehalt jedes Wortes bewusst zu werden. Pressemitteilungen von kleinen, lokalen Vereinen sind teilweise sehr schlecht verfasst. Hier muss ich dann einen Kompromiss finden zwischen den Anforderungen der Zeitung und dem Originaltext.
Fazit
Über die Zeit habe ich mir beim Stadtanzeiger Strategien und Formen erarbeitet, wie ich Interviews führe und Texte gestalte. Wegen des steten Zeitmangels bleibt allerdings nur wenig Möglichkeit, diese zu hinterfragen und zu besprechen. Daher weiss ich nicht, ob sich meine Erkenntnisse mit jenen der anderen decken, also zum Beispiel ‹nach Lehrbuch› sind) und ob sie sich auf ein anderes Medium übertragen lassen würden. Ich versuche, so gut es eben geht, weiterhin neue Methoden zu finden. Das wird natürlich zunehmend schwieriger, weil es zunehmend mehr Überwindung kostet, etwas zu ändern, das ja bisher wenigstens den Mindestanforderungen genügt hat. Natürlich ist mir das Kulturpublizistikstudium dabei hilfreich. Was ich beim Stadtanzeiger geniesse, ist einerseits die Vielfalt an der Arbeit wie auch der Interviewpartner, aber auch die Freiheiten bezüglich Textgestaltung. Nur wünschte ich, es bliebe mehr Zeit, die Texte zu besprechen. Ausserdem beschäftige ich mich mit den immergleichen Textsorten in der immergleichen Länge. Gerne würde ich mich mit längeren Texten beschäftigen, weil strukturelle Entscheidungen ja erst dann richtig sichtbar werden.