Von Philipp Spillmann –
Ein Experiment: Würden Sie uns die Daten, die Sie beim Surfen im Internet hinterlassen, zur Verfügung stellen, damit wir Ihnen sagen können, wer diese Daten ohne Ihr Wissen ermittelt? Exakt dieses Angebot unterbreitet die interaktive Online-Reportage »Do Not Track« ihren Nutzern.
Hinter dem Projekt stehen allerdings keine Datenhandelsriesen wie Acxiom, Epsilon, Datalogix oder Bluekai, sondern der Doku-Sender Arte, in Zusammenarbeit mit dem Bayrischen Rundfunk und dem National Film Board of Canada. In sieben Episoden wird erzählt, wie viel Facebook, Google oder Apple über Sie in Erfahrung bringen kann. Der Clou der Reportage: Sie können sich per E-Mail persönlich registrieren und die Daten, sozialen Netzwerke, von Ihnen besuchte Webseiten oder Apps auf Ihrem Smartphone ermitteln und analysieren lassen. Mit anderen Worten, Sie können herausfinden, was das Internet alles über Sie weiss. Und das ist – selbst wenn Sie nicht bei Facebook registriert sind – fast alles.
Gemäss Standford-Professor Michal Kosinski, der eine Studie anhand von über sechzigtausend Facebook-Profilen durchgeführt hat, kann Sie ein Computer mithilfe von 250 »Gefällt-Mir«-Angaben genauer beschreiben als Ihr Ehepartner. Die Algorithmen errechnen Ihren ethnischen Hintergrund, Ihre sexuelle Orientierung, Ihren IQ, aber auch, ob Sie schwanger sind, Drogen nehmen oder wie glücklich Sie sind. »Es ist ganz einfach, alles was Sie online machen, enthält Informationen darüber, wer Sie sind«, sagt Kosinski in einem Interview mit der Tracks-Redaktion. Dabei kommt es weniger darauf an, welche Aktivitäten Sie im Web bewusst durchführen, sondern eher auf psychologische und soziale Zusammenhänge. Demnach gelten Fans von Filmen wie »Matrix« als schüchtern und introvertiert, während Fans des Batman-Films »The Dark Knight« angeblich weniger Freunde als der Durchschnitt haben. Das Online-Kreditunternehmen Lenddo, das Ihre Kreditwürdigkeit anhand Ihres Facebookprofils bestimmt, nutzt nach Angaben von CEO Jeff Stewart vor allem die Vernetzung mit Ihren Freunden und deren Netzwerken, um zu bestimmen, wie kreditwürdig Sie sind: »Wir gehen davon aus, dass Algorithmen ihren Charakter bestimmen können – und den müssen wir kennen, wenn wir Ihnen einen Kredit geben sollen.«.
Auch Tracks bietet Ihnen die Möglichkeit, eine Risikoanalyse anhand Ihres Facebookprofils zu erstellen. Damit Sie das nicht müssen, habe ich mein Profil für Sie analysieren lassen: Demnach bin ich 25 Jahre alt, männlich und damit gleich doppelt Teil einer Risikogruppe, die als sehr problematisch eingestuft wird. Meine 323 Likes (ja, ich habe über die Grösse dieser Zahl gestaunt) haben ergeben, dass ich den höchsten Wert in der Kategorie »Offenheit« besitze, was heisst, dass mich das Analyse-Raster als »kreativ, erfinderisch und wagemutig« einschätzt. Zweitens bin ich anscheinend sehr »verträglich«, was in etwa bedeutet, dass ich »hilfsbereit, warmherzig und mitfühlend« bin. Mit diesen Informationen haben die Algorithmen berechnet, dass ich scheinbar »extrem häufig riskante berufliche Entscheidungen treffe«, zum Beispiel »eine Anstellung zu kündigen, ohne bereits eine neue gefunden zu haben.« Aber mehr noch: »Ihre hohe Bewertung in der Kategorie Extraversion (0.975) und Neurotizismus (0.855) zeigt an, dass Sie extrem häufig riskante gesundheitliche Entscheidungen treffen. (z. B. Rauchen, schlechte Ernährung, hoher Alkoholkonsum).« Ausserdem konnte Tracks anhand meiner IP-Adresse ermitteln, dass ich via Cablecom über einen Safari-Browser von Zürich aus auf ihre Webseite zugreife und auch, dass ich einen Ad-Blocker installiert habe.
Doch wäre es nur Facebook. Mit meinem Handy können ebenfalls umfassende Persönlichkeitsanalysen von mir erstellt werden: »Wenn jemand nur vier Ihrer Standorte ermittelt, kann er Sie schon in 98 Prozent der Fälle identifizieren«, sagt die Journalistin Julia Angwin in der Reportage. Auch wenn Sie die Ortungsdienste ausschalten, kann Ihr Standort immer noch über die GPS- oder die WLAN-Verbindung ihres Geräts ausfindig gemacht werden. Bei einer friedlichen Demonstration in der Ukraine anfangs 2015 erhielten mehrere tausende Teilnehmer plötzlich eine SMS, in der geschrieben stand: »Wir haben Sie als illegalen Teilnehmer an einer Demonstration registriert.« Woher die Mitteilung kam, ist unbekannt. Aber auch viele Apps auf Ihrem Smartphone zeichnen andauernd auf, wohin Sie gehen, mit wem Sie telefonieren oder welche Fotos Sie verschicken. »Wir haben Apps, die wissen, wann und wie lange wir aktiv sind«, so die Software-Entwicklerin Harlo Holmes.
Neben all den düsteren Szenarien, die hier in Aussicht gestellt werden, zeigt »Do Not Track« auch, wie man sich gegen unerwünschte digitale Beobachter schützen und damit verhindern kann, dass mithilfe Ihrer Daten das Leben anderer Menschen beeinflusst wird. Einen Ad-Blocker zu installieren hilft nur schon, um der Werbeindustrie – einem der grossen Motoren des Datengeschäfts – den Saft abzudrehen. Wem dann immer noch mulmig zumute ist, kann auf der Webseite des Guardian Project eine ganze Palette von Apps beziehen, die sich nicht tracken lassen. Hoffentlich.
Dieser Beitrag ist ein Produkt von metareporter, einem Projekt des Magazins REPORTAGEN und der Plattform Kulturpublizistik. Die Autor/innen von metareporter sind Studierende des Master Kulturpublizistik der ZHdK.