Von Philipp Spillmann
Dieser Raum ist unser Heim geworden, erzählt der putzende Majid. Es sind die ersten Worte, die zu hören sind. Er spricht zur Kamera, zumindest mit den Händen, sein Kopf ist am oberen Bildrand abgeschnitten. Er steht im Pressebüro der Freien Syrischen Armee. Ein ehemaliges Wohnzimmer, irgendwo in Aleppo. Inzwischen Hauptquartier, Konferenzraum und Kaffeestube. Es ist der 10. November 2012. Noch ist die Revolte in voller Fahrt. Sie hat aus Majid einen Reporter gemacht, einen Soldaten mit Stift und Kamera. In den kommenden Monaten wird er in kurzen Episoden von seinem Alltag im Bürgerkrieg berichten. Von selbstgebauten Granatenwerfern, verschneiten Ruinenstädten und geheimen Lazaretten. Von grosser Zuversicht und tragischen Irrtümern. Der ehemalige Student ist einer von vier Protagonisten, die in der Arte Web-Reportage »Tagebücher einer Revolution« aus ihrem Leben als Aktivisten erzählen. Vor und hinter der Kamera. Mitten im Stadtbombardement oder im Libanesischen Exil.
Das langfristig angelegte Projekt ist zugleich Reportage, Serie und Informations-Plattform. Aber auch in narrativer Hinsicht ist es besonders: Zunächst, weil es den Standpunkt wechselt. Statt eines ausgebildeten Reporters oder eines Experten berichten Leute, die vorhin noch nichts oder beinahe nichts mit Journalismus zu tun hatten. Sie erzählen keine Geschichte, sondern ihr Erleben im Kriegsgeschehen. Zweitens ist das Projekt im Gegensatz zu einer klassischen Reportagen, die als Geschichte erzählt wird, offen in der Form und ungewiss im Ausgang. Die kurzen Episoden, die in unregelmässigen Abständen aufgenommen werden, kumulieren sich mit der Zeit zu einer Reihe von losen Momentaufnahmen. Die Leerstellen, die zwischen den Episoden liegen, gewinnen mit dem Fortschreiten des Krieges und dem Zerfall des Landes zunehmend an Bedeutung. Es ist nie gewiss, ob und wann einer der vier Aktivisten das nächste Mal aufnehmen wird, wo sich die Szene abspielen wird oder wie sich sie sich bis dahin verändert haben.
So entsteht während Monaten ein eindrückliches Archiv aus zwei Minuten langen Augenblicken. Die Aufnahmen vermitteln Einblicke in ein Schlachtfeld, das für Auswärtige kaum zu erreichen ist, zoomen einengend nahe ans Geschehen. Körnige, verwackelte Bilder wechseln sich ab mit belanglos wirkenden Standbildern. Im Gegensatz zu geschriebenen Tagebüchern erzählen die Videos etwas über ihre Helden, was diese selbst nicht aussprechen: wie sie sich als Erzähler, Reporter oder Kämpfer verhalten, und wie sich das ändert, weil der Krieg sie verändert.
Dieser Beitrag ist ein Produkt von metareporter, einem Projekt des Magazins REPORTAGEN und der Plattform Kulturpublizistik. Die Autor/innen von metareporter sind Studierende des Master Kulturpublizistik der ZHdK.
Link zum Thema: http://syria.arte.tv/accueil/deu