Von Ruedi Widmer
Michael Cimino, Regisseur-Legende, 76 – er hat etwas von einer tragischen Gestalt, von einem Weisen; und, nimmt man die Reaktionen des Publikums als Massgabe, auch etwas von einem Heiligen – liest den Journalisten die Leviten.
Die Frau mit dem Computer auf dem Schoss fragt er, ob sie jetzt Zuhören wolle oder Aufschreiben, denn schreiben könne man nur, wenn man zuerst zugehört habe.
Dem Mann hinter der Balustrade, der höflich fragt, ob Cimino, wenn er, den Tränen nahe, eine Szene aus dem Film Fountainhead erzählt, in der ein kleiner Kritiker der Karriere eines grossen Architekten ein brutales Ende bereitet, auch an sich selber denke, sagt er, der sonst gerne ausufert: „Ja.“
Den Vertreter der Sonntagspresse, der die Sinn-Frage aller Kritiker stellt („Lesen Sie Kritiken?“) fragt er zurück, ob er denke, Pavarotti habe Kritiken gelesen? Und, falls ja, warum? Dann – der Kritiker hält es für möglich, dass Pavarotti aus Kritiken Hinweise zur eigenen Weiterentwicklung hätte gewinnen können –: Das müsse dann doch jemand wie Gott sein, der sagen könne, wie Pavarotti das hohe C verbessern könne, oder?
Die Botschaft, die ein britischer Publizist in eine Frage versteckt („Ist es gut, wenn man beim Filmen viel Geld hat?“) macht er mit einem Shakespeare-Zitat unschädlich: „Es gibt nicht das Gute oder das Schlechte. Erst die Art des Denkens macht es dazu.“
Der Fragerin, die wissen will, was Güte und Menschlichkeit im Haifischbecken zu suchen haben, sagt er: Sie wollen dich kaputtmachen, und dann musst du eben den Kampf führen, in dem du mit deinen Mitteln stärker bist als sie mit ihren. Als sie kontert, er sei doch ein guter Mensch, er habe doch eine Botschaft der Menschlichkeit: „Ich bin eine gespaltene Persönlichkeit.“
Und als jemand doch noch behaupten möchte, dass man auch journalistisch im engeren Sinne schreiben könne, lautet die Antwort von Cimino, der beim Schreiben von Filmen zwischen der Wahrheitssuche und dem Wortenmachen unterscheidet: „Journalism is fiction. Bad Fiction.“
Ciminos memorabler Auftritt im Q&A des Filmfestivals Locarno fand am 10. August 2015 statt.