Von Fabienne Schmuki, Courtesy of Neue Zürcher Zeitung — Jazz und Pop
Ein Hit oder eine internationale Karriere ist den wenigsten Schweizer Musikern vergönnt. Die meisten brauchen deshalb viel Idealismus. Um ihre Unabhängigkeit zu bewahren, setzen sie auf das Prinzip «Do it yourself», fast wie zu Zeiten des Punk. Doch heute wissen sie, wie man die Wirtschaft anzapfen kann.
Ende der siebziger Jahre setzte sich das Prinzip «Do it yourself» (DIY) im Punk durch. Alles selber zu machen, galt als Rebellion, als Teil der Anti- und Independent-Kultur. Als die ersten Punk- und Hardcore-Bands dem Rest der Welt bewiesen, dass sie die Wertschöpfungskette des Musikbusiness teilweise selber zu kontrollieren wussten, war das vorab ein künstlerisches und politisches Statement. Aber Geld konnte man kaum verdienen.
Die achtziger Jahre wurden dann vielmehr zum goldenen Zeitalter der Major-Labels: Dank der CD, einem Produkt der ersten Welle der Musik-Digitalisierung, konnten diese ihr Sortiment, ihren Backkatalog, neu herausbringen. So generierten sie einen Umsatz, der sie in die Topliga der Unterhaltungsindustrie katapultierte. Dank grossen Gewinnen war das Musikbusiness nun auch bereit für musikalische Experimente. Einst verpönte und ignorierte Subkulturen wie Hip-Hop, Metal und Grunge fanden Anschluss an die Major-Industrie. Im Untergrund aber entwickelte sich bereits die nächste Subkultur: der Techno. Im Rhythmus zuckender Beats wurde das Selbermachen abermals zum Kult.
Power Book statt Mischpult
Mit dem Jahrtausendwechsel hat die Digitalisierung die DIY-Kultur auf ein neues Level gebracht. Das digitale «Do it yourself» – DIY 2.0 – steht nun für von Nutzern generierte Musik bzw. für die Musikproduktion und -promotion auf Basis von Internet, Interaktion, Social Networks. In der Musikszene werden die Freiheiten von Youtube, Weblogs, Crowdfunding und Bandcamp zwar gefeiert, eigentlich ist diese Party aber schon wieder vorbei. Denn während Netzwerke und digitale Promotions-Plattformen vorgaukeln, dass es im weltweiten Netz Platz gebe für alle, treten sich die Künstler auf dem virtuellen Parkett auf die Füsse: Die musikalische Gemeinschaft mag beflügeln, doch sie bezahlt die Miete nicht.
Auf finanzieller Ebene zeigen sich die Auswirkungen der Digitalisierung zwanzig Jahre nach der Implementierung von MP3-Dateien endgültig und unbarmherzig. Trotzdem erlebt der DIY-Boom bis heute keinen Einbruch. Ganz im Gegenteil: Die Anzahl an jährlichen Neuveröffentlichungen ist schwindelerregend, die Plätze in den Business-Seminaren der Pop-Akademien sind gut besetzt. DIY ist unterdessen zum Prinzip einer Massenkultur geworden.
Auf den ersten Blick scheint es Kontinuität zu geben zwischen analogem DIY und dem heutigen DIY 2.0. In beiden Fällen geht es offenbar um Begeisterung und Unabhängigkeit. Die Rahmenbedingungen allerdings haben sich ebenso verändert wie die Werkzeuge: Das Power Book ersetzt heute das Mischpult und Spotify den Kassettenrekorder. So mag man fragen, ob sich die DIY-Kultur nicht auch ideell gewandelt hat. Von eigener Hand zusammengeklebte Vinyl-Covers mögen als nostalgische Reminiszenz an den Punk gelten. Doch die heutigen DIY-Exponenten erinnern weniger an Punks als an Jungunternehmer. Sie sehen sich seit der Digitalisierung mit einem komplett veränderten Kulturbegriff konfrontiert: Die besten Überlebenschancen hat, wer sich geschickt vernetzt, schon einmal etwas von einem Businessplan gehört hat und das Musikgeschäft mitsamt seinen Finanzierungsmöglichkeiten versteht.
Grundsätzlich ist es in der Musik wie in jedem anderen Business: Wer sich ums Geschäft kümmert, verdient mehr Geld. Und mit Geldverdienen ist in der Musik die Förderung mitgemeint. Viele Bands könnten ohne Hilfe von Stiftungen, Kantonen, Städten oder Vereinen keine Tonträger produzieren, nicht auf Tournee gehen. Auch einige Independent-Labels würden ohne Förderung nicht überleben. Im Klartext heisst das: DIY 2.0 ist vor allem dann erfolgreich, wenn sich der Kreative in ein professionelles Umfeld einbettet und Teile seiner Selbstbestimmung doch in fremde Hände legt.
Rock’n’Roll ohne Förderung
Franz Treichler, der Sänger der gut 25-jährigen Schweizer Post-Industrial-Band The Young Gods, lebt seit 1987 von der Musik. Er kennt alle möglichen Facetten des Musikbusiness – vom DIY der frühen achtziger Jahre über einen Vertrag mit dem belgischen Label Pias bis hin zu DIY 2.0. Er sei froh, sagt er, heute nicht mehr alles selber machen zu müssen. «In den Achtzigern klebten wir Buchstaben mit Scotch-Tape auf fünfzig Kassetten mit je drei Songs und verteilten sie», so erinnert er sich. Alles selber machen um jeden Preis – so lautete zunächst das Credo der Young Gods. Fördergelder galten damals als uncool, sie stimmten nicht mit der Band-Philosophie überein. «Man misstraute jedenfalls all diesen Markennamen: Migros etwa, das war nicht Rock’n’Roll.»
Hobbykünstler
Das Problem in der Schweiz sei, sagt Franz Treichler, dass sich hier alle in einer bequemen Situation befänden und zögerten, ganz auf Musik zu setzen. Der soziale Druck sei gross, man habe Angst davor, einen bürgerlichen Job zu verlieren. Zu viele gäben sich deshalb zufrieden mit dem Status eines Hobbykünstlers. Dabei habe man unterdessen endlich auch in der Schweiz begriffen, dass Musik mehr sein könne als ein Hobby.
Sobald Musik aber ein Beruf ist, braucht es Kapazitäten und Manpower für die Promotion und Organisation einer Karriere. Blondie hatte nicht unrecht, als sie behauptete, Rock’n’Roll bestehe zu achtzig Prozent aus Administration und zu zwanzig Prozent aus Musik. DIY mag nun in Konkurrenz zur Musikindustrie stehen, es markiert aber oft einfach die Grenze zwischen professionellem Musikschaffen und Hobby. Allerdings darf man sich generell die Frage nach Sinn und Zweck musikalischer Professionalisierung stellen. Und wenn eine Band nirgends ein Label findet, dann gibt es vielleicht einfach keinen Platz für sie im ohnehin übersättigten Markt.
Führt also staatliche oder private Förderung der Musikszene einfach zu einer Überschwemmung des Marktes und einer immer weiteren Ausdifferenzierung in die Kapillaren kleiner und kleinster Subgenres? Gibt es überhaupt noch Rezipienten für all diese Nischenprodukte? Auch wenn Musik spannend klingt und ästhetisch relevant scheint, wirft sie ökonomisch häufig nichts ab.
Poto Wegener ist Direktor der Schweizer Gesellschaft für Leistungsschutzrechte Swissperform. Der Musikexperte relativiert die Euphorie von DIY 2.0: «Alle haben das Gefühl, durch die Digitalisierung sei das Musikgeschäft demokratisch geworden. Du kannst nun tatsächlich der ganzen Welt deine Musik anbieten, aber es interessiert leider meist niemanden.» Wie eine Untersuchung vom Januar 2013 zeigt, wurden von den damals 26 Millionen Songs, die auf iTunes angemeldet waren, über 94 Prozent nicht gekauft. Wirtschaftlich ansatzweise interessant (potenzieller Umsatz für den alleinigen Rechteinhaber von 10 Franken pro Monat) sind gerade einmal 0,03 Prozent des digitalen Angebots.
Miteinander, gegeneinander
DIY 1.0 galt der damaligen Subkultur als Kampf gegen den Feind: gegen das Major-System des internationalen Musikbusiness. Sich um jeden Preis mit aller Konsequenz der eigenen Sache hingeben – so lautete das Motto der kooperativen Underground-Szenen. In den frühen achtziger Jahren gab es kaum Konkurrenz unter Schweizer Independent-Musikern. Gemeinsam verbündete man sich gegen den sogenannten Kommerz. Die wirtschaftlichen Abstriche, die man machen musste, nahm man in Kauf – genauer: Sie waren Teil des subkulturellen Settings.
Zeichnete sich die DIY-Kultur früher also durch ein Miteinander aus, durch Kooperation, ist DIY 2.0 geprägt durch eine freundschaftlich-konkurrenzierende Zwitterbeziehung; Diese kann mit «coopetition» umschrieben werden. Auch im Zeichen von DIY 2.0 wird zwar noch ein genossenschaftliches Gedankengut gepredigt. Doch anstatt sich gegen den Kommerz der Industrie aufzulehnen, suhlt man sich in kollegialem Klima und buhlt simultan um die Gunst öffentlicher oder privater Förderer und Fans. Moderne Finanzierungs- und Promotions-Tools wie Microfunding und Facebook beweisen: Auch im Zeichen von DIY 2.0 wird gekämpft, aber nicht mehr gegen Strukturen und Macht, vielmehr kämpft ein jeder um etwas Geld und Aufmerksamkeit. Konkurrenz erweist sich so als Begleiterscheinung auf dem Weg zu persönlichem Erfolg.
Der raue Wind
Heute, in einer von ästhetischen Gefälligkeiten durchtränkten Kreativwirtschaft, zählen Konsum, Eigeninitiative und Unternehmertum zu festen Begriffen, die genauso verstanden werden wie in allen anderen ökonomischen Systemen. Deshalb vermag die Befriedigung, die durch kreativen Output erlangt wird, das Ausbleiben von finanzieller Sicherheit nicht mehr zu kompensieren. Bei Nichterfolg lassen sich viele Selbermacher vom rauen Wind der ökonomischen Realität die Lust verderben. Wer unbeirrt auf seinem Weg fortschreitet, weiss sich immerhin in guter Gesellschaft: Mit DIY 2.0 alleine nämlich hat noch niemand den Durchbruch geschafft.
Fabienne Schmuki, Jahrgang 1983, hat 2013 den Master Art Education, Vertiefung Kulturpublizistik an der Zürcher Hochschule der Künste abgeschlossen. Sie ist PR Manager bei einem Schweizer Independent Musikvertrieb und Freelancerin für diverse Print-/Onlinemedien. Dieser Artikel erschien ertsmals am 16. August in der Neuen Zürcher Zeitung.