Von Fiona Knecht
Als Gegentrend zu millionenteuren Bühnenshows finden Wohnzimmerkonzerte immer mehr Zuhörer. Warum die Hausmusik im Web 2.0 neu auflebt.
Zürich Enge, Lavaterstrasse. Empfangen werden nur geladene Gäste. Willkommen im Music Apartment! Bitte schalten Sie ihr Mobiltelefon aus und verrücken Sie die Stühle nicht. Eine Garderobe finden Sie rechts. Die Getränke sind spendiert.
Ein riesiger Kronleuchter ziert die Mitte des Raumes. Er hängt viel zu tief. So tief, dass er vom Leuchtmittel zum Markenzeichen wird. Hier ist alles gemacht. Die Nachtischlampen sind fixiert, der Ablauf bis ins Detail organisiert. Gäste, Band und Techniker instruiert. Bitte Platz nehmen. Rauchmaschine an, Kamera läuft!
Diesmal steht eine Newcomerin aus Frankreich im Rampenlicht. Sie nennt sich Joe BeL. Knapp dreißig Minuten lang heizen sie und ihre Bandkollegen dem Publikum ein. Bald durchsetzt Schweissgeruch den künstlichen Nebel, bis Gäste, Techniker und Musiker zu einer Lust- und Leidensgemeinschaft verschmolzen sind.
In und abseits der Kulisse ist ein 10-köpfiges Techniker- und Eventteam am Werk, das in Echtzeit einen Film produziert und online überträgt. Streaming- und Medien-Partner sind Radio SRF Virus, 20 Minuten Online, 78s und Bewegungsmelder. Im Publikum sitzen Musikerinnen und Szenekenner, Leute aus dem Freundeskreis von Band und Initianten. Der Eintritt ist kostenlos.
Hinter dem Music Apartment steht die Sound Development AG, eine privat finanzierte Plattform, die sich für Kulturförderung in den Schnittbereichen Musik, Kunst & Philosophie engagiert. Werktags stehen die Räumlichkeiten für Aufnahmen, Konzerte und Workshops zur Verfügung. Etwa vierteljährlich findet ein Showcase statt. Ziel ist es, Ausnahmetalenten und Neuentdeckungen eine Plattform zu geben und dadurch ihre Bekanntheit zu fördern. Dabei gilt: je intimer, desto besser. Doch was genau ist das, eine Intimität, die eine Bekanntheit fördert?
Von der Tradition zum Format
Die Idee des Music Apartments ist nicht neu. Sie hat vieles gemeinsam mit der Tradition der Hausmusik. Die vorbürgerliche Hausmusik erlebte ihre Blütezeit im Wien des 18. Jahrhunderts, wo sie als gängiges Mittel zur Förderung junger Talente galt. Musikgrössen wie Haydn, Mozart oder Beethoven verdanken ihre Karrieren adligen Gönnern, die sie finanziell unterstützten und vor einem ausgewählten Publikum auftreten liessen. Ölgemälde und Kupferstiche dienten als Fenster zur Öffentlichkeit. Getwittert wurde von Mund zu Mund. Mit der Zeit wurden die Hauskonzerte populärer und die Auftritte öffentlicher, bis die Tradition nach dem 1. Weltkrieg angesichts zunehmender Freizeitangebote – wo sie überlebte – wieder zur mehr oder weniger privaten Angelegenheit kunstnaher Familien wurde.
Das änderte sich mit den Anfängen des Jazz und der Popmusik. Viele Treffpunkte von Subkulturen wurden als Orte musikalischen Schaffens und private Bühnen genutzt. Beispielsweise waren im New York der Prohibition die Harlemer Buffet Flats nicht nur ein beliebter Umschlagplatz für illegale Konsumgüter sondern auch Plattform für Musikgrössen wie Bessie Smith oder Duke Ellington. Die deutsche Kommune 1 prägte und lebte neben ihrem gesellschaftspolitischen Engagement auch eine eigene Musikkultur, welcher kurzweilig Jimmy Hendrix beigewohnt haben soll. Ein Apartment in der South Bronx gilt als Entstehungsort der Hip Hop und Rap-Kultur und die ersten sogenannten „Basement Shows“ der Punk Rock Szene fanden in Kellern von Privathäusern statt.
Diesen Untergrundveranstaltungen standen im Laufe des zwanzigsten Jahrhunderts immer aufwendiger produzierte Aufführungen gegenüber. Konzertfreie Kalendertage waren gestern. Aber wo ein Megatrend ist, formiert sich in der Nische stets ein Gegentrend. So ist es nicht verwunderlich, dass neben millionenteuren Bühnenshows auch akustische Mini-Konzerte ihre Zuhörerschaft finden und das Format „Wohnzimmerkonzert“ wiederaufersteht. In Zürich erleben Unplugged Gigs in Eigentumswohnungen, Cafés (z.B. Coldking’s Acoustic in der Photobastei) oder Bandräumen (z. B. Soundabout Festival) derzeit ebenso eine Renaissance wie private Showcases zu Marketingzwecken (z. B. MyCokemusic Gewinnspiel mit Bastian Baker).
Der Livestream aus dem Wohnzimmer geht noch einen Schritt weiter. Ein deutsches Beispiel ist die Live-Konzertserie Song of my Life, veranstaltet im Salon des Musikers und Komponisten Martin Ernst (RTL Samstag Nacht AllStars). Trotz echter Emotionen und unvergesslicher Live Momente – was die Webseite verspricht – behält die Inszenierung einen DSDS-typischen Studio-Charakter, der alles andere als heimelig wirkt. Wohl einer der aufwändigsten Showcase-Streams ist jener des Weissen Hauses: In Performance at The White House wurde kreiert, um die Vielfalt amerikanischen Kulturschaffens der Öffentlichkeit zu präsentieren, inszeniert im unprivatesten Wohnhaus der Nation.
Doch nebst Spass an der Kunst und ehrenhaften Absichten sind zeitgenössische Hauskonzerte in aller Regel eines: Aussendarstellung, und damit Werbung. Damals wie heute dienen sie entweder zur Demonstration von Reichtum und der damit verbundenen Macht oder zur kommerziellen Förderung eines Produktes, Künstlers oder Konzertlokals. Aus einer langjährigen Tradition ist ein multimedial vermarktetes Format geworden, Symptom des generalisierten Marketings und einer privatisierten Öffentlichkeit.
Fiona Knecht, Jahrgang 1985, hat 2011 den Master of Arts in Design abgeschlossen und ist seither als Gestalterin und Beobachterin im Spannungsfeld Musik, Medien und Design tätig. Sie betreibt ein Musikfachgeschäft in Zürich und arbeitet im Master Kulturpublizistik an der ZHdK als wissenschaftliche Mitarbeiterin.