Von Remo Bitzi –
Die österreichische Rechercheplattform Dossier.at sorgte 2012 mit ihren Nachforschungen zu staatlichen Werbeeinnahmen der Gratiszeitung Heute für Aufsehen – und hat sich seither als Portal für fundierte, unabhängige Reportagen etabliert.
In Österreich finanziert sich ein Grossteil der Tagespresse wie vielerorts durch Werbeeinnahmen. Ungewöhnlich dabei: Besagte Einnahmen stammen zu nicht unwesentlichen Teilen von staatlichen Institutionen. Im Falle der Wiener Ausgabe der Gratiszeitung Heute, seit 2010 die meistgelesene Zeitung Wiens, wurden beispielsweise im Zeitraum von 2004 bis 2011 Anzeigen von städtischen und stadtnahen Institutionen im Wert von 29 Millionen Euro platziert. Dies entspricht rund einem Drittel aller Anzeigen in Heute. Keine Peanuts – und somit eigentlich eine hochbrisante Story. Eigentlich. Denn wer im Glashaus sitzt, sollte bekanntlich nicht mit Steinen werfen. Und im Glashaus sitzen Heutes wichtigste Konkurrenten, namentlich die Tageszeitungen Österreich, Kurier, Kronen Zeitung, Die Presse und Der Standard. Eine vermeintliche Pattsituation – gäbe es nicht eine Plattform ohne, oder zumindest mit anderen, Abhängigkeiten.
Die werbefreie Website Dossier.at wurde 2012 von einem fünfköpfigen Team um den preisgekrönten ehemaligen Datum– und Presse-Journalisten Florian Skrabal ins Leben gerufen. Es folgten 132 Stunden Recherchearbeit bezüglich der Werbeaktivitäten der Stadt Wien in der Gratiszeitung Heute, es folgte eine Vorabpräsentation, es folgte eine Erfolgsgeschichte sondergleichen. Denn noch vor Veröffentlichung der eigentlichen Story sorgte die neue Online-Plattform für Schlagzeilen: Eva Dichand, Heute -Herausgeberin und Geschäftsführerin und Gattin von Kronen Zeitung-Chefredakteur und -Herausgeber Christoph Dichand, drohte nämlich aufgrund der Vorabpräsentation gegen Dossier.at zu klagen. Als «schwer wettbewerbsschädigende Verleumdungskampagne» bezeichnete Dichand gemäss Medienberichten die gemachten Behauptungen und wies diese als schlicht nicht wahr zurück – womit sie der bis dahin unbekannten Webseite vor ihrer Lancierung reichlich Publicity bescherte.
Multimedialer Krimi
Jenes erste Dossier besteht mittlerweile aus 14 verschiedenen Beiträgen: von einem Einstiegstext, der das Thema kurz umreisst, über verschiedene Hintergrundberichte bis zu einer Chronologie und zwei Infovideos, die komplexe Sachverhalte mit einfachen Grafiken vermitteln. Darüber hinaus werden in der Akte Motivationen und Vorgehensweisen der Reporter offengelegt sowie die erhobenen Rohdaten öffentlich gemacht. Im Zentrum des Interesses steht dabei stets die Frage, wer hinter Heute steckt und von den vermeintlichen Steuergeldern profitiert.
Die einfach aufgebauten Beiträge – sie werden einspaltig dargestellt und teils mit Infoblöcken an den Seiten ergänzt – sind mit Hyperlinks versehen und an verschiedenen Stellen durch Grafiken oder interaktive Timelines unterbrochen. Entsprechend lustvoll lässt sich das Dossier bewältigen. Trotz der gegebenen Fakten- und Zahlenlastigkeit des Themas liest es sich wie ein spannender Krimi, bei dem man Kapitel um Kapitel verschlingt. Denn erzählt wird nicht nur multimedial, sondern auch mit dramaturgischem Geschick – etwa wenn im Beitrag «Die Fidelis-Connection» die Besitzverhältnisse in der Österreicher Medienlandschaft hergeleitet werden und man die Aufdeckung der zeitweise nicht bekannten Eigentümerschaft von Heute zum Schluss des Kapitels als Cliffhanger empfindet. Darüber hinaus werden an diversen Stellen Einstiegsmöglichkeiten geboten. Egal wo man anfängt – nach wenigen Klicks spürt man den Sog der Story.
So auch beim jüngsten Dossier – es ist das sechste – zum Thema Asyl, das den Erstling in vielerlei Hinsicht übertrifft: Penibel genau wurden im Rahmen dieser Recherche über 80 Unterkünfte für Asylsuchende in Österreich durch das Dossier.at-Team besucht, examiniert und Zu- bzw. Missstände dokumentiert. So liegen den 31 verschiedenen Beiträgen der Akte über 4000 Fotografien, 50 Stunden Video- sowie 26 Stunden Audiomaterial zugrunde; ergänzt durch die in einer Excel-Liste zusammengefassten Rohdaten, die wiederum offengelegt werden.
Idealismus im Businessmodell
Das Veröffentlichen der Rohdaten soll nicht nur ein Maximum an Transparenz gewährleisten – eine Maxime der dossier.at-Macher – sondern auch anderen Journalisten als Ausgangslage für weitere Artikel dienen. Open Source als Credo – und gleichzeitig Werbung in eigener Sache. Denn Dossier.at finanziert sich nicht etwa durch Werbeeinnahmen, sondern durch das Anbieten von Weiterbildungen für andere Medienschaffende (im Rahmen von «Dossier Academy») sowie Kooperationen mit etablierten Medien (im Rahmen von «Dossier Media»). Diese Recherche- und Datenaufbereitungsaufträge für Dritte wurden bereits vom deutschen Wochenmagazin stern oder der britischen BBC in Anspruch genommen. Folglich sind die Recherchen, die für die eigenen Dossiers angestellt werden, journalistische Grundlage und Akquisetool zugleich.
Darüber hinaus finanziert das mittlerweile siebenköpfige Team seine Aktivitäten –wie dies mittlerweile etwa auch die deutsche Plattform Krautreporter tut – durch Mitgliederbeiträge. Je nach Höhe des Beitrages erhalten Dossier.at-Mitglieder Zugang zu weiteren Inhalten auf der Website, zu Lehrmitteln oder zu Workshops aus dem «Dossier-Academy»-Angebot.
Trotz allem ist das Budget von Dossier.at verhältnismässig klein: gemäss Aussage von Chefredakteur Florian Skrabal wirtschaftete die Plattform 2015 mit rund 80 000 Euro. Entsprechend bescheiden sind die Honorare der Beteiligten. Es ist dieser Idealismus, der den Reportagen auf der österreichischen Seite eine Dringlichkeit verleiht, die andernorts oft fehlt. In Kombination mit dem journalistischen Handwerk, das die Betreiber offensichtlich nicht nur beherrschen, sondern regelrecht zelebrieren, vermittelt jeder Beitrag auf Dossier.at den Eindruck, Einblick in eine klassifizierte Akte zu gewähren.
Remo Bitzi studiert im Master Kulturpublizistik.
Dieser Beitrag ist ein Produkt von metareporter, einem Projekt des Magazins REPORTAGEN und der Plattform Kulturpublizistik. Die Autor/innen von metareporter sind Studierende des Master Kulturpublizistik der ZHdK.