von Philipp Spillmann –
Für ein Rechercheprojekt über den «Krieg im Netz der Dinge» wählen sich Journalisten der Süddeutschen Zeitung in die Haustechnik und die Webcams von Privatpersonen ein. Aus dem investigativen Journalisten wird ein invasiver Reporter, der sich die Fakten, über die er berichtet, selbst schafft. Ist das nur eine besonders konfrontative Art der Berichterstattung – oder schon eine Kriegserklärung an den Leser?
Anfang der 1990er Jahre beschrieb der amerikanische Informatiker Mark Weiser das 21. Jahrhundert als eine Welt, in der alle möglichen Gegenstände digital miteinander kommunizieren. Rechnerallgegenwart nannte er das damals. Heute spricht man vom Internet der Dinge. Schon für die nahe Zukunft prognostizieren Experten nicht nur intelligente Gebäude, sondern auch intelligente Infrastrukturen und sogar Städte. Die Dinge sollen nicht länger schweigen, sondern buchstäblich zu sprechen lernen und die unbelebte Welt mit künstlicher Intelligenz beseelen. Was nach Science-Fiction klingt, ist in seinen Anfängen bereits real. Immer mehr Geräte sind fähig, eine Verbindung zu Computernetzwerken aufzubauen: Fernseher, Webcams, Router, Heizungen, Rollläden, Drucker, Kühlschränke usw. Laut einer Schätzung des amerikanischen IT-Unternehmens Gartner werden jeden Tag 5.5 Millionen neue Geräte mit dem Internet verbunden. Demnach wird es bis 2020 über 20 Milliarden vernetzte Geräte geben – Handys und Computer nicht mitgezählt.
Dass damit Gefahren verbunden sind, liegt auf der Hand. Denn was mit dem Internet verbunden ist, kann auch gehackt werden. Man muss allerdings kein professioneller Hacker sein, um in fremde Geräte einzudringen. Das zeigt eine Web-Dokumentation der Süddeutschen Zeitung. Journalisten der SZ gelang es, monatelang in ungesicherte Systeme einzudringen, die über eine spezielle Suchmaschine im Netz frei für jedermann zugänglich waren. Im November 2016 veröffentlichten sie ihre Ergebnisse. Unter dem Titel «Krieg im Netz der Dinge» präsentieren sie in mehreren Texten und einem interaktiven Dossier die Gefahren, die von den vernetzten Geräten ausgehen. Im Zentrum der Web-Dokumentation stehen die Sicherheitslücken (namentlich solche, die mit mangelndem Problembewusstsein von Menschen zu tun haben). Aber die Texte analysieren auch technische und systemische Ursachen, beschäftigen sich mit den Folgen und machen Lösungsvorschläge.
Das Vorgehen der Journalisten ist allerdings weniger als Beobachtung oder Analyse denn als Demonstration der Gefahrenlage zu bezeichnen. Sie machen sich nicht nur auf die Suche nach ungeschützten Geräten, sondern sie dringen unter Einwilligung ihrer Besitzer auch wiederholt in diese ein. So führt das SZ-Team seinen Lesern vor, welche Sicherheitslücken es ausnutzen und welche Geräte es übernehmen konnten. Die Recherche am Schreibtisch wird zur Betätigung im Feld. Insofern findet sich in allen Texten etwas Dokumentarisches. Das dokumentarische Moment steht dabei nicht im Dienst des Erzählens einer Geschichte; es wird vielmehr als Mittel eingesetzt, um den Lesern die Gefahr unmittelbar vor Augen zu führen.
Dieses demonstrative Vorgehen hat Konsequenzen. Es liefert den Journalisten das benötigte Material, um den postulierten „Krieg im Internet der Dinge“ als Realität herauszustellen. Dass es sich um einen Krieg handelt, ist zwar zunächst nicht mehr als eine Behauptung. Aber weil die Journalisten als potenzielle Angreifer auftreten, schreibt sich die Assoziation Krieg in das Rollenverständnis zwischen ihnen und ihren Lesern ein. Sie skizzieren das Bild des Krieges, indem sie ihr Vorgehen etwa als «feindliche Übernahme» bezeichnen, und fixieren es, indem sie sich selbst als Eindringlinge betätigen. Aus der blossen Möglichkeit eines Angriffes wird knallharte Realität. Der investigative Journalist wird zum invasiven Reporter, einem potenziellen Angreifer, dem grundsätzlich jeder Nutzer zum Opfer fallen kann. Was dabei jederzeit beschworen und nie in Frage gestellt wird, ist das Bild einer Bedrohung von riesigem Ausmass, die «in unser Wohnzimmer einzieht».
Und dieses Bild wird in den dunkelsten Farben ausgemalt. »Jeder«, so die SZ, »kann das Haus der Wiesels im beschaulichen Osten Bayerns übernehmen und steuern«. Und weiter: «Was nach Thriller klingt, ist längst Normalität. Diese Normalität ist gefährlich». Gefährdet ist demnach also nichts Geringeres als die Normalität unseres Lebens, und es ist der Glauben an die Selbstverständlichkeit dieser Normalität, auf dem die Gefahr beruht. Jeder, der sich davon blenden lässt und aufgrund der Unsichtbarkeit der Gefahr deren Nichtexistenz annimmt, ist Teil des Problems. «Wir lassen die Maschinen in unser Leben», warnt die Web-Dokumentation, «sie sind ein Einfallstor für Fremde, Spione, Hacker». Die Metapher des trojanischen Pferdes spiegelt sich in der Rede vom Krieg, der sich mit den Geräten in «unser Leben» einschleicht: «Jedes vernetzte Gerät kann aber nicht nur eine Wanze, sondern auch eine Waffe sein», schreiben die Journalisten. Im Internet der Dinge tobt ein Krieg – ein Krieg, der immer mehr in unseren vier Wänden ausgetragen wird und uns gleichermassen zu Zielen wie zu Angreifern macht. In diesem Krieg gibt es keine Zivilisten. Es ist nicht möglich, sich nicht an ihm zu beteiligen. Denn gerade, wer untätig bleibt, treibt ihn weiter an.
Die Botschaft ist klar: Die SZ fordert ihre Leser zum Handeln auf. Sie sollen ihre Geräte sichern. Die Web-Dokumentation versucht, die Leser aufzuklären. Die Leser sollen sich aus ihrer selbstverschuldeten Unmündigkeit befreien. Indem die SZ dabei das Brecheisen gleich selbst in die Hand nimmt, erhält die Aufforderung einen repressiven Beigeschmack. So steht mit dem Motiv des bedrohten Privatlebens auch ein rhetorisches Mittel im Vordergrund, nämlich Angst. Die Frage lautet daher: Reicht ein Albtraum wirklich, um die Menschen aufzuwecken?
Philipp Spillmann studiert im Master Kulturpublizistik.
Dieser Beitrag ist ein Produkt von metareporter, einem Projekt des Magazins REPORTAGEN und der Plattform Kulturpublizistik. Die Autor/innen von metareporter sind Studierende des Master Kulturpublizistik der ZHdK.