von Philipp Spillmann –
Der Niederländische Künstler Renzo Martens hat 2008 mit seinem Dokumentarfilm «Enjoy Poverty» ein Werk geschaffen, in welchem er Grundprobleme des Machens von Reportagen in Krisengebieten auf die Spitze treibt.
Im Vordergrund erklingt ein dumpfes Hacken, im Hintergrund diffuses Vogelgezwitscher. Das Bild ist schwarz. Schnitt. Eine Szene: Die Kamera fährt über eine hügelige Blätterlandschaft, an deren Horizont eine graue Wolkendecke die blasse Dschungelsilhouette überragt. Ein Mann tritt ins Bild. Mit einer alten Machete hackt er schwungvoll ins Rankenmeer. Oben trägt er ärmellos, dazwischen eine schlabbrige Hose, unten Sandalen. Seinen Namen erfahren wir nicht, dafür aber, dass er im Auftrag eines Plantagenbetreibers das Feld von Unkraut freihackt, und dass er für drei Tage Arbeit einen halben US-Dollar verdient. Die Bildqualität ist schlecht. Es handelt sich offenbar um eine handelsübliche Handkamera. Die Linse ist fleckenübersät. Schnitt.
Die Kamera fährt über ein Blechhüttendorf. Eine Art Camp, wie es das nächste Bild vermuten lässt. Eine Frau im T-Shirt eines Hilfswerks gibt Säcke an die Bewohner des Camps aus. Daneben steht ihr Kollege, der amüsiert die Szene fotografiert. Nach weiteren Schnitten kommen Soldaten ins Bild: UN-Blauhelme. Wir befinden uns in der demokratischen Republik Kongo, im Jahr 2008, während dem Nord-Kivu-Konflikt, auch dritter Kongokrieg genannt. Wo sich das Camp befindet, erfahren wir nicht. Von der politischen Lage ist während den 90 Minuten des Dokumentarfilms kaum die Rede. Filmemacher Renzo Martens geht es nicht um das Erfassen einer weltpolitischen Situation. Ihm geht es um Armut. Seine These: Entwicklungshilfe ist ein Geschäft und Armut dessen Ressource; der immaterielle Rohstoff einer Wertschöpfungskette, an der sich Regierungen, Weltbank, Hilfswerke, Journalisten und Freiwillige beteiligen. Der Filmtitel ist nicht minder provokativ: «Enjoy Poverty», «Geniesst die Armut».
Das Leiden sexy machen
«Enjoy Poverty» ist ein Kunstprojekt und Renzo Martens ein Künstler. Der Dokumentarfilm ist die dritte Episode einer dreiteiligen Werkserie. Er wurde vorwiegend in Ausstellungskontexten gezeigt und prämiert. Vordergründig behandelt er die Frage, wie Armutsbekämpfung zur Erhaltung von Armut beiträgt. Hintergründig geht es um mediale Selbstreflexion: Martens problematisiert das Produzieren von Dokumentarmaterial, indem er es als elementaren Bestandteil von Entwicklungshilfeökonomien versteht.
Inhaltlich gibt es drei Handlungsstränge. Ein erster, mit dem der Film beginnt und endet, rückt den Feldarbeiter der Eröffnungsszene in den Blick. Ein zweiter Strang widmet sich verschiedenen Institutionen: Martens besucht einen Plantagenverwalter, der eine Fotoausstellung zu seinen Niedriglohnarbeitern veranstaltet, eine Entwicklungshilfe-Konferenz, ein UN-Camp, Ärzte ohne Grenzen, etc. Ein dritter Strang zeigt eine beschwerliche Wanderung, bei der der Künstler eine Gruppe angeheuerter Transporteure riesige Kisten durch den Dschungel buckeln lässt. In einem Dorf lässt er dann die Gepäckstücke zu einem Gerüst aufbauen, auf dem ein Neonröhrenschriftzug ironisch die Worte «Enjoy (Please) Poverty» verkündet.
Zu einem Wendepunkt kommt es in der Filmmitte, als Martens einer Gruppe heimischer Fotografen vorrechnet, dass sie mehr verdienen, wenn sie todkranke Kinder fotografieren, statt Festgesellschaften. Hier formuliert er seine Theorie: Entwicklungshilfe ist eine Ökonomie, die von der Armut profitiert, indem sie das Monopol auf Armut behauptet. Das will er beweisen, indem er mit den Fotografen loszieht, um todgeweihte Kinder zu fotografieren, und daran scheitert, die Fotos den Entwicklungshelfern zu verkaufen. Es kommt schliesslich zum Höhepunkt, bei dem der Künstler den Menschen einhämmert, dass ihre Hoffnung nur dazu beiträgt, das System zu stabilisieren. Es wäre deshalb besser für sie, zu resignieren und anzuerkennen, dass sich ihre Lage niemals verbessern wird. Am Ende des Films bleibt nicht viel ausser Frustration und ein deprimierter Martens, der sich fragt, was er falsch gemacht hat. Die Leuchtschrift treibt in der Abenddämmerung auf einem Floss den Fluss hinab.
Zynismus als Emanzipation
Martens vollzieht fortwährend selbst, was er kritisiert. Er erniedrigt die Menschen, während er sich für sie einsetzt. Er ist Helfer und Ausbeuter zugleich. Aber: er macht das nicht unbewusst, sondern absichtlich. Ihm geht es gerade darum, die zynische Rolle des Entwicklungshelfers zu demaskieren. Entscheidend ist, dass sich Martens während des Films immer wieder selbst thematisiert. Er versucht nicht, hinter der Kamera zu verschwinden. Im Gegenteil: indem er sie immer wieder auf sich richtet, gibt er zu verstehen, dass er als Filmemacher selbst mitgemeint wird. Die Produktionsbedingungen des Filmes werden zu seinem eigentlichen Gegenstand. Im Grunde genommen sehen wir nicht Martens, den Menschen, sondern Martens, die Autorenfigur. Wie er abseits der Dreharbeiten mit den Menschen umgegangen ist, bleibt offen.
Das Problem, das sich Martens stellt ist nämlich, dass er gar nicht anders kann, als zu scheitern. Wenn er einen Dokumentarfilm macht, der das Machen von Dokumentarfilmen problematisiert, muss er dieselben Fehler begehen, die er anderen vorwirft. Egal wie kritisch und engagiert er filmt – er bleibt Entwicklungshelfer und Kollaborateur. Und wenn er Reportagen verdächtigt, wertlos zu sein, weil sie erst die Bedingungen der Unterdrückung schaffen, gegen die sie sich einzusetzen vorgeben – gerade indem sie sich einsetzen, muss dasselbe auch für seine eigene Kritik gelten.
Also dreht er den Spiess um. Anstatt zu versuchen, den Subalternen das Wort zu geben, und damit zu riskieren, es ihnen eben eigentlich erst zu nehmen, zeigt er, wie er es ihnen gleich selbst nimmt. Seine eigentliche These wäre demnach die, dass der Reporter, als derjenige, der die erzählerische Macht über seinen Gegenstand hat, diese Macht mitthematisieren muss, wenn er seine Leser nicht blenden will, sondern Aufklärung als Ziel verfolgt. In dem Sinn ist seine Diagnose so pessimistisch wie radikal: Es gibt keinen Ausweg aus dem Dilemma, nur die Wahl, sich dem Dilemma zu stellen und es ins Bild zu setzen – oder es zu ignorieren.
Philipp Spillmann studiert im Master Kulturpublizistik.
Dieser Beitrag ist ein Produkt von metareporter, einem Projekt des Magazins REPORTAGEN und der Plattform Kulturpublizistik. Die Autor/innen von metareporter sind Studierende des Master Kulturpublizistik der ZHdK.