Von Lora Sommer –
Den Ausschlag für diesen Text gab ein anderer Text. Eine Reportage. Geschrieben im Kontext einer Ausbildung, keineswegs zur Veröffentlichung gedacht. Es ging um fünf junge Kreative. Vielleicht muss ich anfügen, dass mir deren Metier als ausgebildete Designerin nicht ganz fremd ist und ich mich durchaus aktiv in dieser Szene bewege. An die journalistische Materie taste ich mich erst langsam heran. Dies könnte mitunter ein Grund dafür sein, dass mich die fünf jungen Schweizer als Eingeweihte verstanden und sehr offen mit mir gesprochen haben.
Als der besagte Text so gut wie fertiggestellt war und der Chefredaktor der renommiertesten Schweizer Monatszeitschrift im Rahmen einer Blattkritik drüber schaute, bemängelte er vor allem eines: Das Fehlen von Zahlen. In der Reportage ging es auch um Kulturförderung und somit um Geld. Eigentlich klar: Der Leser will wissen, wie viel einem der grossen Kulturförderer in der Sparte, um die es hier geht, das Pionierprojekt der fünf Kreativen wert ist. Ich schrieb also eine Email an diejenigen, die in den Genuss der Förderung gekommen waren. Eine Antwort blieb auch nach zwei Tagen aus. Um den Prozess zu beschleunigen – auch weil die Abgabe näher rückte, griff ich zum Telefon und rief bei der Förderinstitution direkt an. Bereits die Dame von der Zentrale teilte mir mit, dass sie als Institution nicht dem Schweizer Stiftungsgesetz unterlägen, und somit auch nicht der Pflicht zur Offenlegung der verteilten Gelder. Alles klar, dann muss der Leser halt ohne Zahlen auskommen. Es ist ja nicht so, dass ich an einem Enthüllungsbericht für den Spiegel arbeiten würde. Oder vielleicht doch?
Am nächsten Tag klingelte mein Handy. Mehrfach. Ich rief zurück. Am anderen Ende stellte sich die Projektleiterin der Förderinstitution vor. Sie wollte ziemlich genau wissen, was ich vorhatte. Sie liess nicht locker – auch nicht nach mehrmaligem Bestätigen meinerseits, dass ich bezüglich Unterstützungsbeitrag nicht insistieren würde und dass es sich um eine Übung handle, die keinesfalls vor der Veröffentlichung stünde. Sie bestand trotzdem darauf, den Text zu lesen. Ich liess mich nicht nicht festnageln und versuchte, auf Zeit zu spielen. Ich hatte mich offenbar in Teufels Küche gebracht. Am nächsten Tag klingelte mein Telefon erneut. Dieses Mal waren es die Kreativen. Sie wollten nicht, dass die Förderinstitution die Reportage zu lesen bekam. Zu persönlich sei sie, zu unwesentlich und einfach nicht der Sache dienlich. Vertrösten wollten sie die Projektleiterin der Förderinstitution aber auch nicht, das würde nur für böses Blut sorgen. Sie regten eine pragmatische Lösung an – auch in meinem Sinne, wie sie betonten: Ein neuer Text müsse her. Schliesslich sei ich ja auch Praktikerin und könne deshalb in Zukunft durchaus auch selbst auf Fördergelder angewiesen sein. Dieses Mal liess ich mich festnageln.
Ein neuer Text muss her. Wie kann das sein? Nochmals zur Erinnerung: Der Text wird nicht veröffentlicht. Wie kann es sein, dass man ihn dennoch so wichtig nimmt? Dass die fünf jungen Kreativen sich derart wichtig nehmen? Dass die Förderinstitution solche Angst davor hat, was über sie geschrieben wird?
Als Journalistin über eine Sparte zu schreiben, die ich von innen kenne, scheint mir naheliegend. Dabei folge ich nicht den Wünschen derjenigen, über die ich schreibe, sondern meiner Wahrnehmung. Ich bringe eine Nähe zum Gegenstand mit, eine kritische Solidarität, und vor allem: Expertise. Es geht mir nicht um leicht verdientes Geld, wenn ich über Dinge schreibe, mit denen ich schon vertraut bin. Ich schreibe auch nicht darüber, weil das Schreiben ein Ersatz dafür wäre, dass ich mich als Praktikerin nicht verwirklichen könnte. Ich schreibe darüber, weil zu wenig darüber geschrieben wird. Zu wenig kritisch. Weil die wenigen, die darüber schreiben, um den Chefredaktor einer anderen Monatszeitschrift zu zitieren, Täter und Komplizen sind und somit über das heimische Schaffen milder berichten. Weil ich ein fehlendes Bewusstsein für die Potenziale des kreativen Tuns wecken will. Weil ich Leute durch den Dschungel führen möchte, auch mich selber. Was ich als Kreative vermisse, erscheint mir nun als Schreibende umso wichtiger zu sein; eine Haltung zu haben und daran festzuhalten. Auch wenn es weh tut.
P.S. Was ich berichte, ist uneingeschränkt wahr. Wenn ich die Szene und die Akteure, um die es sich handelt, nicht kenntlich mache, dann deshalb, weil das, was mich daran beschäftigt, in vielen Szenen und für viele Akteure wahr ist.
Lora Sommer studiert im Master Kulturpublizistik.