Von Lena Rittmeyer –
Ein Team um Laura Poitras, Regisseurin der Snowden-Doku «Citizenfour», will mit einer Online-Plattform Produktion und Distribution von Dokumentarfilmen vereinfachen. Aber trifft «Field of Vision» auch einen Nerv?
Einen Dokumentarfilm über ein aktuelles Thema zu drehen, der auch noch zeitnah erscheint, ist ein schwieriges Unterfangen. Denn nicht selten wollen Produktionsfirmen das Videomaterial zuerst sehen, bevor sie über die Vergabe von finanziellen Mitteln entscheiden. Was dazu führen kann, dass dokumentarische Aufnahmen entweder stark zeitverschoben oder gar nie an die Öffentlichkeit gelangen. «In diesem System gibt es keinen Ablauf, bei dem du sagen kannst: Nächste Woche findet ein Ereignis statt, das ich filmisch dokumentieren will, und gewisse Leute sind dann interessiert daran, diesen Film mit dir zu machen», sagt der amerikanische Dokumentarfilmer A.J. Schnack im Interview mit dem Online-Magazin «The Intercept».
Gemeinsam mit Laura Poitras, Oscar-gekrönte Regisseurin der Edward-Snowden-Doku «Citizenfour», und Charlotte Cook, Veranstalterin beim Dokumentarfilmfestival in Toronto, hat Schnack die Online-Plattform «Field of Vision» ins Leben gerufen. Mit dem Projekt, das wie «The Intercept» dem von eBay-Erfinder Pierre Omidyar gegründeten Medienkonzern First Look Media angehört, haben sich Poitras, Cook und Schnack zum Ziel gesetzt, Produktion und Distribution von dokumentarischen Formaten zu vereinfachen und zu beschleunigen.
Im Zentrum von «Field of Vision» stehen Videos, die Aktualitäten aus dem Weltgeschehen mithilfe von visuellem Storytelling aufgreifen. Die Redaktion der Plattform arbeitet eng mit derjenigen von «The Intercept» zusammen, die ihrerseits die Verifizierung von Fakten übernimmt und die Beiträge publiziert. Das Team um Poitras will einerseits Filmemacher mit Produktionen beauftragen, aber ebenso eingereichte dokumentarische Kurzfilme veröffentlichen. Weniger interessiert ist man an Ausschnitten von bereits gedrehten Filmen. «Wir sind weder ein Filmfonds noch dazu da, jemandem bei der Mittelbeschaffung zu helfen», sagt Schnack. «Aber vielleicht steckt jemand mitten in einer Filmproduktion, und es gibt einen Teil darin, der unbedingt sofort erzählt werden muss.» In diesem Falle ist er bei «Field of Vision» richtig.
Serien, Kurzfilme, Momentaufnahmen
«Field of Vision» ist also nicht nur ein Portal für Videojournalismus, sondern steht für den Dokumentarfilm mit ästhetischem Anspruch. Möglich sind mehrteilige Geschichten, Kurzfilme oder auch nur Momentaufnahmen. «Wir wollen wirklich experimentieren», sagt Cook zu «The Intercept». Dennoch wolle man nichts publizieren, das noch nicht fertig sei, so Poitras.
Derzeit ist auf der Seite unter anderem der Kurzfilm «Notes from the Border» zu sehen, eine Dokumentation von der griechisch-mazedonischen Grenze, die die aktuelle Flüchtlingskrise aufgreift; oder «Birdie», ein Porträt eines obdachlosen Obstverkäufers in Rio de Janeiro. In einem eigens dafür geschaffenen Programmpunkt am diesjährigen New York Film Festival feierten die bisher erschienenen Beiträge ihre Premiere.
Offene Fragen
Ob sich das Konzept von «Field of Vision» letztlich durchsetzen kann, hängt von der Frage ab, wie attraktiv eine solche Plattform für Filmemacher ist. Existiert das von den Betreibern vorausgesetzte Bedürfnis unter Dokumentarfilmern, den Produktionsprozess abzukürzen, wirklich? Ist es nicht gerade die lange Vorlaufzeit, die es ermöglicht, sich differenzierter mit einem Stoff zu befassen? Steht der ästhetische Anspruch, den «Field of Vision» hat, nicht im Widerspruch zu diesem beschleunigten Ablauf? Und wo ziehen die Betreiber die Grenze zwischen künstlerischem Beitrag und videojournalistischer Berichterstattung?
Entscheidend ist auch, ob es dem Team von «Field of Vision» gelingt, sich abseits vom schnelllebigen Newsgeschäft zu positionieren und doch längerfristig mit dokumentarischen Formaten zu aktuellen Debatten beizutragen. Erreichen sie dies, und trifft die Plattform mit ihren vereinfachten Produktionsabläufen bei Filmemachern einen Nerv, dann könnte das Projekt eine wichtige strukturelle Neuerung in der Dokumentarfilmproduktion bedeuten.
Dieser Beitrag ist ein Produkt von metareporter, einem Projekt des Magazins REPORTAGEN und der Plattform Kulturpublizistik. Die Autor/innen von metareporter sind Studierende des Master Kulturpublizistik der ZHdK.