Von Lena Rittmeyer
Ende Juni forderte der deutsche Literaturkritiker Wolfram Schütte in einem Beitrag auf perlentaucher.de eine digitale Zeitschrift für Literatur. Die Notwendigkeit eines solchen Formats leitete er folgendermassen her: Im digitalen Zeitalter könne man als Leser nicht mehr „finden ohne zu suchen“. Während man früher den Blick neugierig über die Zeitungsseite schweifen liess und an einer Stelle hängenblieb, müsse man heute genau wissen, wonach man sucht, um es im Netz auch zu finden.
Viele Verlage hätten sich, so Schütte, der Digitalisierung angepasst, und betreiben heute eigene Blogs, auf denen sie Neuerscheinungen anpreisen. Das Problem wiederum: Der Leser müsse diese Blogs von sich aus aufsuchen. Doch um den „kontinuierlichen Kontakt“ zwischen Leserschaft und Verlagen zu gewährleisten, wie es die Zeitungen einst taten, aber aufgrund von „Schrumpfungsprozessen“ immer weniger tun, brauche es eine Art Online-Fundgrube für literarisch Interessierte. Dort könne der Leser dann wieder wie früher auf der Zeitungsseite, „finden ohne zu suchen“.
Also skizzierte Schütte ein Konzept für ein „digitales Zeitungsprojekt“, das er im Arbeitstitel Fahrenheit 451 nennt. Finanziell soll Fahrenheit 451 von Verlagen gestützt werden, die im Gegenzug Werbung schalten dürfen, sowie von natürlichen und juristischen Personen, die das Projekt durch Beitragszahlungen unterstützen. Beides soll aber ohne Einfluss auf die Unabhängigkeit der Redaktion geschehen. Für den Benutzer von Fahrenheit 451 soll der Zugang ausserdem einen geringen Beitrag kosten.
Die Idee eines Überforderten
Schüttes Vorschlag löste viele unterschiedliche Reaktionen aus: von begeisterter Zustimmung bis hin zu leichter Skepsis. Auffallend an den Repliken ist vor allem, wie viele sich auf die Umsetzung des Projekts und die konkrete Frage beziehen, inwiefern die skizzierte Finanzierung realistisch ist. Schüttes Begründung dagegen, warum ein solches Projekt notwendig ist, scheint kaum jemand zu hinterfragen.
Dabei ist Schüttes Idee vor allem eines: der Vorschlag eines Überforderten. Das Netz hat unser Leseverhalten verändert, das hat Schütte richtig konstatiert. Wir sind keine passiven Zeitungsleser mehr, sondern individualisierte Medienkonsumenten mit Eingriffsmöglichkeiten in die Massenkommunikation. Und so ist auch die öffentliche Auseinandersetzung mit Literatur nicht mehr länger dem Feuilleton vorbehalten; Meinungsstücke zu Büchern gibt es heute auf einer Vielzahl von Blogs, Newsletters oder Twitteraccounts.
Einige Beispiele hat die deutsche Autorin Nikola Richter in ihrem Debattenbeitrag bereits genannt. Wie Richter treffend schreibt, ist es heute am Benutzer, Internet-Dienste, zum Beispiel auf Social Media, per Email oder in Form eines Feedreaders, in Anspruch zu nehmen. Ein solches Vorgehen aber erfordert Kompetenz im Umgang mit den unzähligen Angeboten im Netz. Erst geht es darum, sich über die Möglichkeiten von thematischen Verzeichnissen wie etwa Feeds oder Twitterlisten zu informieren und ihre Funktionsweise zu verstehen, um danach aktiv von ihnen Gebrauch zu machen. Wer seine Online-Quellen bewusst auswählt, hat letztlich genau das, was Schütte im Bereich der Literatur fordert: eine beinahe unerschöpfliche Fundgrube.
Dieser Text ist ein Beitrag zur Debatte über die Zukunft des Lesens auf Perlentaucher.de. (Bild: Wout/cc-by-nc-sa)